Algorithmen für autonome Fahrzeuge

Ethische Entscheidungen im Straßenverkehr

Algorithmen für autonome Fahrzeuge

Planung: Institute for Ethics in Artificial Intelligence (IEAI), Technische Universität München (TUM)

Ort: München

Handlungsfeld: Zukunftsfähige Vorgaben und Verordnungen – Von der Geschwindigkeitsregelung über die Gestaltung von Straßen bis zur Fahrzeugentwicklung

Wie können ethische Überlegungen in die Trajektorienplanung autonomer Fahrzeuge eingebettet werden? Forschende der Technischen Universität München (TUM) haben hierzu einen neuartigen Algorithmus entwickelt. Er berücksichtigt eine Vielzahl von Faktoren in komplexen Verkehrssituationen und soll so eine differenzierte Entscheidungsfindung ermöglichen. 


Ausgangslage und Ziel

Die ethische Dimension autonomen Fahrens ist von weitreichender Tragweite. Algorithmen für selbstfahrende Fahrzeuge müssen festlegen, wie sie Risiken im Straßenverkehr verteilen und wie sich die Fahrzeuge in kritischen Verkehrssituationen verhalten. 

Bisherige Ansätze fokussierten sich auf das Trolley Problem und liefen auf Entscheidungen nach dem Prinzip „entweder/oder“ hinaus: Etwa ob ein Fahrzeug bei einer drohenden Kollision einem Fußgänger oder einem anderen Fahrzeug ausweicht. Die Komplexität und Unsicherheit realer Verkehrssituationen ließ sich darin schwer abbilden. Ziel der Forschung an der TUM war es, eine Software zu entwickeln, die Risiken stärker gegeneinander abwägt und besonders schwächere Verkehrsteilnehmende schützt.

Das Besondere an dem Projekt

Das Projektvorhaben zeichnet sich durch seinen interdisziplinären Ansatz aus. Es entstand am Institute for Ethics in Artificial Intelligence (IEAI) der TUM in einer gemeinsamen Arbeit der Lehrstühle Fahrzeugtechnik und Wirtschaftsethik. Die TUM stellt den Quellcode öffentlich zur Verfügung (Open Source). 

Problemdimensionen

Der Straßenverkehr stellt durch die Vielfalt der beteiligten Verkehrsteilnehmenden und Fahrzeuge erhebliche Herausforderungen an autonome Systeme. Unterschiedliche Fahrzeugtypen bringen jeweils spezifische Risiken mit sich, ebenso die unterschiedlichen Risikobereitschaften der Verkehrsteilnehmenden. Darüber hinaus müssen autonome Fahrzeuge sicherstellen, dass sie geltende Verkehrsregeln einhalten. 

Maßnahmen

Der neue Algorithmus der Technischen Universität München gilt als erster Algorithmus, der die 20 Ethik-Empfehlungen der EU-Kommission für autonomes Fahren einbezieht. Er wurde in über 2.000 Szenarien in Europa, den USA und China getestet. Wesentliche Merkmale der Software sind:

  • Risikobasierte Entscheidungen: Der Algorithmus kalkuliert das Risiko für alle Verkehrsteilnehmenden. Er berücksichtigt deren Schutzbedürftigkeit sowie potenziellen Einfluss auf andere.
  • Erweiterte Optionen: Die Software kann Risiken gegeneinander abwägen und Tausende mögliche Verhaltensweisen in Sekundenbruchteilen abgleichen.
  • Praktische Anwendung: Die Software wurde in Simulationen validiert. Mit dem Forschungsfahrzeug EDGAR wird sie in realen Verkehrssituationen getestet.

Ausgangspunkt der Forschung an der TUM war die Risikoethik, die komplexe Verkehrssituationen besser abbilden soll. Sie bezieht in stärkerem Maße Wahrscheinlichkeiten und differenzierte Abwägungen in ihre Entscheidungsfindung ein als dies nach Ansicht der Technikethiker traditionelle ethische Ansätze tun. Dadurch sollen die Entscheidungen besser an die Dynamik des Straßenverkehrs anpasst werden.

Wirkungen

Die neue Software ermöglicht autonomen Fahrzeugen, in komplexen Verkehrssituationen flexibler zu reagieren. Waren vorhergehende Algorithmen auf wenige vorgegebene Manöver beschränkt, bewertet der neuentwickelte Algorithmus sämtliche Risiken für alle Beteiligten und wägt diese gegeneinander ab. Dies führt zu mehr Handlungsspielräumen und soll das Risiko für alle Verkehrsteilnehmenden reduzieren. Der Algorithmus ist darauf ausgelegt, sichere und ausgewogene Entscheidungen zu treffen und aggressive oder abrupte Reaktionen zu vermeiden. 

Verkehrssicherheit

Die von der TUM entwickelte Software kann Unfälle nicht verhindern. Ihr Ziel ist es, Risiken im Straßenverkehr differenziert zu bewerten und Entscheidungen zu treffen, die insbesondere schwächere Verkehrsteilnehmende schützen. Dabei soll sie gefährliche Manöver vermeiden und abrupte Fahrzeugreaktionen minimieren.


Fazit

Der Algorithmus der Technischen Universität München ermöglicht eine differenzierte ethische Entscheidungsfindung für autonome Fahrzeuge, indem er Risiken für alle Verkehrsteilnehmenden abwägt und auf komplexe Verkehrssituationen dynamisch reagiert.

Die Offenlegung des Codes als Open Source bietet eine Grundlage für künftige Forschung und Entwicklung ebenso wie für eine breitere gesellschaftliche Diskussion über ethische Standards im autonomen Straßenverkehr.