Medikamente und Straßenverkehr
Die Risiken von Medikamenteneinfluss am Steuer werden häufig unterschätzt, schließlich sollen Arzneimittel helfen. Sie unterstützen den Heilungsprozess, befreien von Schmerzen oder lindern Beschwerden. Richtig dosiert, überwiegen ihre positiven Wirkungen. Tatsache ist aber auch, dass viele Wirkstoffe, etwa Schlaf- und Beruhigungsmittel oder Psychopharmaka, die Wahrnehmung und Reaktionsfähigkeit einschränken. Auto-, Motorrad- oder Fahrradfahrende, die durch Medikamente in ihrer Fahrtüchtigkeit beeinträchtigt sind, gefährden nicht nur sich selbst, sondern alle Verkehrsteilnehmende.
Nebenwirkung Unfall
Schniefnase, Kopfschmerzen, Husten? Geht schon, meinen viele und nehmen eine Tablette. Nur wenige denken an mögliche Auswirkungen auf die Fahrtüchtigkeit, lesen die Packungsbeilage nicht und fragen nicht ihre Ärztin oder ihren Apotheker. Sie gehen damit ein Risiko ein, denn viele Medikamente haben ungeahnte Nebenwirkungen.
Mit der Hausärztin/dem Hausarzt sprechen
Besonders kritisch sind Medikamente, die den Blutzucker oder den Blutdruck stark absinken lassen, die Wahrnehmungs- und Bewegungsfähigkeit beeinträchtigen oder Gefühlsschwankungen oder gar Persönlichkeitsveränderungen hervorrufen. Das sind Schlaf- und Beruhigungsmittel, Psychopharmaka, aber auch Präparate gegen Diabetes oder auch Mittel gegen Erkältungen und Allergien.
Gefährliche Medikamentencocktails
Noch gefährlicher wird es, wenn die Arzneimittel als Mix und mit Alkohol oder Drogen zusammen eingenommen werden. Die Wirkungen der einzelnen Präparate werden verstärkt und das Reaktionsverhalten wird deutlich eingeschränkt. Auch Aufmerksamkeit, Konzentration, Sicht und Motorik können leiden. Medikamentencocktails können unvorhersehbare Nebenwirkungen mit sich bringen. Auch lokale Betäubungen, die Spritze für die zahnärztliche Behandlung oder Impfungen können die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigen. Im Zweifel das Auto lieber stehen lassen.
Verlangsamte Reaktionen
Nicht nur verschreibungspflichtige Medikamente, auch freiverkäufliche Arzneimittel können zum Risikofaktor beim Fahren werden. In Deutschland sind rund 55.000 Medikamente zugelassen. Fachleute gehen davon aus, dass sich circa 2.800 dieser Präparate (fünf Prozent) negativ auf die Teilnahme am Straßenverkehr auswirken können. Insbesondere Schmerz- und Erkältungsmittel, die auch stimulierende Substanzen enthalten, zum Beispiel Koffein, führen kurzfristig zu einer subjektiv empfundenen Verbesserung der Symptome. Man fühlt sich fahrtüchtig. Allerdings kann dies auch bedeuten, dass man euphorisiert Gefahren im Straßenverkehr unterschätzt. Lässt die Wirkung des Medikamentes hingegen nach, kommt es häufig zu einer Ermüdung. Diese kann dann die Reaktionsfähigkeit deutlich verlangsamen.
Deshalb sollte laut DVR bei der nächsten Erkältung vor der Einnahme von Medikamenten lieber nachgelesen oder nachgefragt werden, bevor das Fahrzeug gestartet wird.
Keine Wirkung ohne Nebenwirkung
Expertentipps zu Medikamenten im Straßenverkehr
Wer Medikamente einnimmt, setzt vor allem auf deren heilende Wirkung: Schmerzen und Beschwerden lassen nach, Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden kehren zurück. Doch so gut wie jedes Medikament hat auch unerwünschte Wirkungen, die so stark ausfallen können, dass sie die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigen. Müdigkeit, verlangsamte Reaktion und Einschränkungen bei der Wahrnehmung von Abstand und Geschwindigkeit machen Medikamente am Steuer zum Risiko im Straßenverkehr. Hier sind einige Fragen vom Lesertelefon des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR) mit
- Dr. med. Renate Zunft; Medizinische Referentin TÜV NORD GmbH & Co. KG, Medizinisch-Psychologisches Institut, Hannover
- Dr. med. Birger Neubauer; Referatsleiter Arbeitsmedizin/Arbeitspsychologie der Berufsgenossenschaft Verkehr (BG Verkehr), Hamburg
- Michael Heißing; Arzt im Referat „Fahreignung, Fahrausbildung, Kraftfahrerrehabilitation“, Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach
Dr. med. Renate Zunft: Pflanzlich ist nicht gleichzusetzen mit unbedenklich. Es gibt sehr wirksame pflanzliche Medikamente. Genauso wie für andere Medikamente gilt für Medikamente aus pflanzlicher Herkunft: neben der gewünschten Wirkung sind auch Nebenwirkungen vorhanden. Bei Beruhigungs- und Schlafmitteln muss zudem beachtet werden, dass bereits die gewünschte Wirkung die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigen kann. Beruhigung und Schläfrigkeit sind eine Gefährdung bei der aktiven Teilnahme am Straßenverkehr.
Dr. med. Renate Zunft: Rezeptfreie, leichte Schmerzmittel beeinträchtigen die Fahrtüchtigkeit nicht wesentlich. Man sollte jedoch prüfen, ob trotz Schmerzen, Bewegungsbeeinträchtigungen oder auch Erkältungsbeschwerden der Gesundheitszustand und die Leistungsfähigkeit ausreichend ist, um ein Kraftfahrzeug sicher zu führen. Die Medikamente könnten zudem den Eindruck vermitteln, dass es Ihnen besser geht, obwohl Leistungen wie Reaktionsvermögen und Aufnahmefähigkeit weiterhin gemindert sind.
Dr. med. Birger Neubauer: Opioide zählen zu den stärksten und wirksamsten Schmerzmitteln in der Medizin. Neben der schmerzstillenden Wirkung kann es zu Nebenwirkungen kommen, die zum Beispiel das Reaktionsvermögen beeinträchtigen. In Studien wurden Gesunden einmalig Opioide verabreicht, um Auswirkungen auf ihre Fahreignung zu überprüfen. Das Ergebnis: Es zeigten sich fast durchgängig Leistungsbeeinträchtigungen. Sie sollten die Frage der Fahrtauglichkeit mit Ihrem Arzt besprechen und genau beobachten, ob die Opioid-Einnahme Sie zum Beispiel schläfrig oder euphorisch macht.
Michael Heißing: Aufgrund der Vielzahl der möglichen Beeinträchtigungen gibt es leider kein einfaches Testverfahren, das Ihnen die Entscheidung abnehmen könnte. Informieren Sie sich auf jeden Fall vorab über die zu erwartenden Wirkungen und möglichen Nebenwirkungen Ihrer Medikamente, indem Sie die Hinweise in der Packungsbeilage lesen oder konkret Ihren Arzt ansprechen. Sie können dadurch gezielter beeinträchtigende Effekte wahrnehmen und somit besser einschätzen, ob eine ausreichende Fahrsicherheit gegeben ist. Im Zweifel sollten Sie den Wagen lieber stehen lassen.
Dr. med. Birger Neubauer: Schmerzmittel, die eine Kombination aus einem schmerzstillenden Wirkstoff und beispielsweise Koffein enthalten, können nicht nur schmerzstillend, sondern auch anregend und aufputschend wirken. Die so entstehende Unruhe kann die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigen, vor allem aber fühlen Sie sich unter Umständen fitter als Sie tatsächlich sind. In kritischen Situationen kann das ein gefährlicher Trugschluss sein.
Dr. med. Renate Zunft: Wechselwirkungen zwischen Medikamenten sind häufig und für den Patienten schwer erkennbar. Da hilft auch der Blick in den Beipackzettel wenig. Besprechen Sie mit dem behandelnden Arzt Ihre Bedenken. Besondere Aufmerksamkeit ist immer dann geboten, wenn nach Verordnung eines zusätzlichen neuen Medikamentes unerwartete und starke Wirkungen oder Nebenwirkungen auftreten. Insbesondere die Verordnung mehrerer Substanzen mit Wirkung auf das psychische Befinden lassen negative Auswirkungen auf Reaktionsfähigkeit, Konzentration und Aufmerksamkeit erwarten und können damit die Fahrtüchtigkeit einschränken.
Michael Heißing: Durchaus – und vieles hängt dabei von der Art und Weise ab, wie ein Medikament im Körper verarbeitet wird. Hier können bereits bei der Einnahme mit der falschen Flüssigkeit unerwünschte Wirkungen entstehen – auch ein Wirkungsverlust des Medikaments ist nicht auszuschließen. Besonderheiten zu Wechselwirkungen finden Sie zwar in der Packungsbeilage, doch was konkret in Ihrem Falle zu beachten ist, sollten Sie mit Ihrem Arzt besprechen. Grundsätzlich gilt: Bei gleichzeitigem Alkoholkonsum müssen Sie besonders vorsichtig sein, da sich hier häufig die beeinträchtigenden Wirkungen von Medikament und Alkohol gegenseitig verstärken.
Dr. med. Birger Neubauer: Jedes zugelassene Medikament verfügt über eine Packungsbeilage, deren Inhalt durch das Arzneimittelgesetz geregelt ist. Sie führt unter anderem Informationen zu Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten auf sowie Angaben über die Nebenwirkungen, einschließlich der Häufigkeit, in der diese auftreten. Die Packungsbeilage hilft also, Sie für mögliche Nebenwirkungen zu sensibilisieren. Allerdings sind Beipackzettel nicht immer leicht zu verstehen. Im Zweifel sollten Sie sich nicht scheuen, tatsächlich Ihren Arzt oder Apotheker zu fragen.
Michael Heißing: Nein – eine zusammenfassende Übersicht zu allen aktuellen Medikamenten und deren möglichen Beeinträchtigungen der Fahrsicherheit existiert nicht. Eine einfache, allgemein gehaltene Aussage hierzu wäre auch unangemessen, da zu viele Faktoren eine Rolle spielen, zum Beispiel Dosis, Dauer der Behandlung, Zubereitung des Medikaments, Grunderkrankung und vieles mehr. Es gibt jedoch bestimmte Medikamentengruppen, bei denen verstärkt beeinträchtigende Wirkungen auftreten können. Dazu gehören Schlaf- und Beruhigungsmittel, Schmerzmedikamente, antiallergische Medikamente, Mittel gegen Depressionen oder auch Mittel zur Behandlung des Blutdrucks.
Dr. med. Renate Zunft: Ebenso wie bei der Einnahme von anderen Medikamenten sollte der behandelnde Arzt Patienten über Besonderheiten aufklären, die im Zusammenhang mit der Teilnahme am Straßenverkehr stehen. Vor allem zu Beginn der Therapie können die psychotrope Wirkung von Cannabis sowie weitere Nebenwirkungen stark beeinträchtigen. Sie sollten erst dann ein Kraftfahrzeug führen, wenn der behandelnde Arzt Ihnen dies ausdrücklich erlaubt hat. Bei einer Verkehrskontrolle sollten Patienten eine Kopie der Verordnung mit sich führen, um nachzuweisen, dass sie Cannabis aus medizinischen Gründen einnehmen.
Michael Heißing: Die Einnahme von Medikamenten alleine rechtfertigt weder das Eine noch das Andere. Allerdings gilt: Wenn Sie in einem fahruntüchtigen Zustand ein Fahrzeug führen, machen Sie sich strafbar. Das gilt unabhängig davon, ob diese Beeinträchtigungen durch Medikamente oder andere Ursachen wie beispielsweise Übermüdung oder Alkoholkonsum hervorgerufen wurden. Kommt es in einem solchen Zustand zu einer auffälligen Fahrweise oder verursachen Sie sogar einen Unfall, kann dies durchaus verkehrsrechtliche oder versicherungsrechtliche Folgen für Sie nach sich ziehen. Deshalb müssen Sie vor Antritt einer jeden Fahrt kritisch prüfen, ob Sie aktuell in der Lage sind, ein Fahrzeug sicher zu führen.