Qualität der präklinischen Versorgung von Unfallverletzten
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Beschluss
Der DVR fordert für eine umfassende Bewertung der Qualität der präklinischen Versorgung der Unfallverletzten eine regelmäßige Analyse auf Basis einheitlicher und bundesweiter Daten, die über die derzeit bestehenden Leistungsanalysen des Rettungsdienstes hinausgeht.
Empfehlungen
- Um die Qualität der präklinischen Versorgung beurteilen und sichern zu können, sollte eine bundeseinheitliche und regelmäßige Analyse zentraler Parameter des Rettungswesens durchgeführt werden.
- Dazu soll zwischen Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität unterschieden werden, um die jeweiligen Aspekte der präklinischen Versorgung umfassend bewerten zu können.
- Für die Notfallversorgung soll der gesamte Zeitraum vom Unfalleintritt bzw. Notruf bis zur Übergabe des Patienten an ein geeignetes Krankenhaus betrachtet werden, einschließlich aller hierin enthaltenen relevanten Zeitpunkte und -intervalle.
- Die Analyse des Rettungswesens soll auch Outcome-basiert sein. Dabei sollten insbesondere Daten in Bezug auf Zusammenhänge zwischen der präklinischen Versorgung mit der späteren Lebensqualität berücksichtigt werden.
- Finanzielle und personelle Ressourcen sollen zur Verfügung gestellt werden, um eine flächendeckende Datenerfassung und einheitliche Analyse aufbauen zu können. Dabei sind Synergien, die sich beispielsweise mit dem TraumaRegister DGU®[1] oder dem Reanimationsregister der DGAI[2] ergeben und bereits wichtige Teilaspekte beleuchten, zu berücksichtigen.
- Für die Beurteilung der präklinischen Versorgungsqualität sind infrastrukturelle Aspekte wie z.B. Krankenhausstandorte zu berücksichtigen.
- Es sollen Konsequenzen aus den Defiziten einzelner Teilaspekte der Versorgungsqualität gezogen werden.
Erläuterungen
Die Qualität der Notfallversorgung von Unfallopfern hat nachweislich einen entscheidenden Einfluss auf das Langzeitergebnis der Betroffenen. Zur Beurteilung dieser präklinischen Versorgungsqualität liegen jedoch bislang keine bundeseinheitlich regelmäßigen Analysen zentraler Parameter des Rettungswesens vor. Folgende Aspekte sind dabei zu beachten:
Die in den Landesrettungsdienstgesetzen unterschiedlich definierte Hilfsfrist – die meist den Zeitraum vom Eingang des Notrufs in der Leitstelle bis zum Eintreffen des ersten Rettungsmittels umfasst – stellt als Planungsmaßstab (Soll-Wert) einen wichtigen, jedoch unzureichenden Parameter für die Bedarfsplanung im Rettungsdienst dar. Die Standortplanung rettungsdienstlicher Ressourcen soll sich an der zeitkritischen Erreichbarkeit der Einsatzorte orientieren. Das Eintreffen des ersten Rettungsmittels bei Notfällen betrug laut Leistungsanalyse der BASt 2016/2017[3] für den Einsatzanlass „Verkehrsunfall“ im Bundesdurchschnitt 9,2 Minuten; 95 % der Verkehrsunfälle wurden innerhalb von 21,3 Minuten bedient. Die Eintreffzeit des Notarztes bei Verkehrsunfällen betrug bundesdurchschnittlich 14,4 Minuten; in 95 % der Notarztalarmierungen traf der Notarzt/ die Notärztin spätestens nach 29,8 Minuten ein. Sowohl für die Hilfsfrist als auch die Eintreffzeit des Notarztes/ der Notärztin ist bereits seit Mitte der 90er Jahre eine kontinuierliche Verschlechterung festzustellen: Die Hilfsfrist verlängerte sich seitdem um 1,8 Minuten, 95 % der Verkehrsunfälle wurden nach 15,7 Minuten bedient[4]. Die Eintreffzeit des Notarztes betrug 1994/1995 durchschnittlich neun Minuten, 95 % waren spätestens nach 18,6 Minuten am Unfallort. Diese Verlängerung kann nicht toleriert werden.
Die Hilfsfrist bzw. die Eintreffzeit des Notarztes stellen jedoch nur einen Teil des zeitlichen Ablaufs der Notfallversorgung bis zur definitiven Versorgung in der Klinik dar. Überdies hat die Hilfsfrist aus medizinischer Sicht inzwischen als alleiniges Gütekriterium zur Beurteilung der Notfallversorgung an Bedeutung verloren. Für die Prognose und den Therapieerfolg sind eine Reihe weiterer Zeitabschnitte von Bedeutung, die gesondert zu betrachten sind. Zu nennen sind hier zum einen das Intervall vom Eintritt des Notfalls bis zum Absetzen des Notrufs und zum anderen die gesamte Prähospitalzeit (welche die Hilfsfrist einschließt und sich aus weiteren Zeitabschnitten summiert) vom Notrufeingang in der Leitstelle, über den Beginn der Erstversorgungsmaßnahme, den Transport bis zur Einlieferung der verunfallten Person in ein geeignetes Krankenhaus (z.B. Traumazentrum). Diese Zeitintervalle sind anders als die Hilfsfrist nicht gesetzlich geregelt und verankert. Vorgaben hierzu finden sich u.a. im Eckpunktepapier 2016 der medizinischen Fachgesellschaften zur notfallmedizinischen Versorgung der Bevölkerung sowie der S3-Leitlinie Polytrauma/Schwerverletzten-Behandlung[5]. Hiernach soll bei zeitkritischen Verletzungen das Intervall zwischen Notrufeingang in der Leitstelle und der Übergabe in einem geeigneten Krankenhaus maximal 60 Minuten betragen. Derzeit werden diese zusätzlichen zeitkritischen Qualitätsaspekte des Rettungsdienstes nur unvollständig erfasst.
Darüber hinaus fehlt es an einer einheitlichen und flächendeckenden Erfassung von Daten, die über die Dokumentation zeitlicher Parameter hinausgehen, wie z.B. Aussagen zu Art und Schwere von Verletzungen, der Behandlung und dem Behandlungsergebnis. Zwar werden im TraumaRegister DGU® Daten zur präklinischen Versorgung gesammelt, wie beispielsweise die Dauer vom Eintreffen des Notarztes am Unfallort bis zur Aufnahme von schwerverletzten Personen im Krankenhaus sowie präklinische Maßnahmen und Daten über den/die Verunfallte/n, diese sind aber für eine Optimierung des Rettungsdiensteinsatzgeschehens allein nicht ausreichend.
Um ein Gesamtbild der Leistungsfähigkeit des Rettungsdienstes und Ansatzpunkte für eine Verbesserung zu erhalten, ist es notwendig, bundesweit unterschiedliche Datenquellen (z.B. Leitstellen-, Rettungsdienst- und Krankenhausdaten) zusammenzuführen. Auf dieser Basis können dann einheitliche Qualitätsindikatoren formuliert werden. Einen ersten Ansatz dafür liefert die Stelle zur trägerübergreifenden Qualitätssicherung im Rettungsdienst Baden-Württemberg, die eine umfangreiche Datenauswertung nachvollziehbar liefert.
Um den langfristigen Effekt dieser Indikatoren beurteilen zu können, sollen diese auch Outcome-basierte Aspekte erfassen, wie beispielsweise die gesundheitsbezogene Lebensqualität und Wiedereingliederung in das soziale und berufliche Umfeld. Damit wäre ein Bezug zwischen der Optimierung der präklinischen Versorgung und dem Langzeitergebnis des Unfallverletzten herstellbar.
gez.
Prof. Dr. Walter Eichendorf
Präsident
[1] TraumaRegister der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie
[2] Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin
[3] Bundesanstalt für Straßenwesen: Analyse des Leistungsniveaus im Rettungsdienst für die Jahre 2016/2017. Bericht M 290.
[4] Bundesanstalt für Straßenwesen: Leistungen des Rettungsdienstes 1994/95. Bericht M 72
[5] Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie (federführend) (2016).