Stellungnahme anlässlich der Anhörung zum Gesetz zur Einführung des Fahrrad- und Nahmobilitätsgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen sowie zur Änderung des Straßen- und Wegegesetzes in Verbindung mit dem Gesetz zur Einführung eines Radverkehrsgesetzes

des Deutschen Verkehrssicherheitsrates

Stellungnahme

17.8.2021

Stellungnahme zur Anhörung des Verkehrsausschusses des Landtags Nordrhein-Westfalen am 25. August 2021:

I.
Gesetz zur Einführung des Fahrrad- und Nahmobilitätsgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen sowie zur Änderung des Straßen- und Wegegesetzes
Gesetzentwurf der Landesregierung, Drucksache 17/13977
in Verbindung mit

II.
Gesetz zur Einführung eines Radverkehrsgesetzes sowie zur Änderung weiterer Gesetze Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucksache 17/14257

Gesamtbewertung

Mit dem vorliegenden Entwurf eines Fahrrad- und Nahmobilitätsgesetzes bringt das Land Nordrhein-Westfalen als erstes Flächenland ein solches Gesetzesvorhaben auf den Weg und geht so mit gutem Beispiel voran. Es bleibt zu hoffen, dass weitere (Flächen-)Länder diesem Vorbild folgen.

Besonders positiv hervorzuheben ist aus Sicht des DVR das klare Bekenntnis zur Vision Zero als Ausgangspunkt des Gesetzes, durch den der Handlungsbedarf verdeutlicht wird, die Sicherheit des Rad- und Fußverkehrs zu verbessern. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die Betonung des Grundsatzes, bei Um- und Neubaumaßnahmen von außen nach innen zu planen, sodass bei der Flächenverteilung mit der Infrastruktur für den Fuß- und Radverkehr begonnen wird. Bedauerlich ist jedoch, dass dieser Grundsatz nur im Teil „B Lösung“ und im Begründungsteil beschrieben wird und keinen Eingang in den Wortlaut des Gesetzes finden soll.

Ausdrücklich zu begrüßen ist auch die Betonung der Gleichrangigkeit der unterschiedlichen Fortbewegungsarten und der Grundsatz, dass Gehwege bei der Aufteilung und Gestaltung des Straßenraums besonders berücksichtig werden sollen. Dieser Grundsatz gehört jedoch nicht nur in den Begründungsteil sondern sollte in den Wortlaut des Gesetzes aufgenommen werden.

Konsequenterweise ist der Abschnitt zur Verkehrssicherheit am Beginn des Gesetzentwurfs gleich nach den Begriffsbestimmungen zu finden, wodurch auch die Ausrichtung des flankierenden Aktionsplans Fahrrad und Nahmobilität sowie des Förderprogramms Nahmobilität aus Abschnitt 1 richtig vorgezeichnet wird.

Verbesserungsbedarf besteht aus Sicht des DVR vor allem bei Vorgaben für die Infrastrukturgestaltung. Hier sollten die vorgelegten Formulierungen konkretisiert werden, beispielsweise durch deutlichere Aussagen zur Verbindlichkeit der vorhandenen technischen Regelwerke. Zudem scheinen die genannten Maßnahmen zur Stärkung des Sicherheitsmanagements ausbaufähig. Gerade mit Blick auf die Verbesserung der Verkehrssicherheit auch für ungeschützte Verkehrsteilnehmende stellt die Verbesserung der Infrastruktur schließlich eine wesentliche Stellschraube dar.

Kommentierung im Einzelnen

Zu § 7: Verkehrssicherheitsprogramm

Die Anforderungen an das Verkehrssicherheitsprogramm sind klar gefasst. Hinsichtlich der Erleichterung einer parlamentarischen und öffentlichen Kontrolle der Umsetzung könnte zusätzlich explizit ein Zeit-Maßnahmen-Plan mit Nennung der Zuständigkeiten je Maßnahme gefordert werden.

Sehr erfreulich ist auch die gegenüber dem Referentenentwurf neu eingefügte Nennung des Innenministeriums bei der Evaluation des Programms.

Zu § 8: Präventive Verkehrssicherheit – Förderung

Der DVR begrüßt ausdrücklich die Verankerung der institutionellen Förderung der Landesverkehrswacht Nordrhein-Westfalen e.V. Dies sendet das richtige Signal, dass sich die Landesregierung langfristig der Förderung der Verkehrssicherheitsarbeit verpflichtet.

Vorschlag zur Ergänzung eines neuen Paragraphen [§ 9 neu]: Unfallkommissionen

Das für Verkehr zuständige Ministerium stellt als oberste Landesbehörde die Erfüllung der Arbeit der Unfallkommissionen auch im nachgeordneten Straßennetz sicher und stellt für die Umsetzung daraus resultierender verkehrsregelnder und straßenbaulicher Maßnahmen je nach Baulastträgerschaft bei Bedarf auch eine Förderung aus Landesmitteln bereit. Über die Umsetzung wird alle zwei Jahre der Landtag unterrichtet.

Begründung: Neben den präventiven Ansätzen ist die Arbeit der Unfallkommissionen und die Umsetzung ihrer Empfehlungen auf Basis örtlicher Untersuchungen an Unfallstellen entscheidend für die Verkehrssicherheit. Damit Unfälle an denselben Stellen künftig vermieden werden können, müssen Gefahrenstellen zeitnah entschärft werden. Dies ist selbstverständlich ausgabenrelevant.

Vorschlag zur Ergänzung eines neuen Paragraphen [§ 10 neu]: Verkehrsschauen

Das für Verkehr zuständige Ministerium stellt als oberste Landesbehörde die konsequente und vollumfängliche Umsetzung von Verkehrsschauen inklusive Dämmerungs- und Nachtverkehrsschauen auch im nachgeordneten Straßennetz sicher und stellt für die Umsetzung daraus resultierender verkehrsregelnder und straßenbaulicher Maßnahmen je nach Baulastträgerschaft bei Bedarf auch eine Förderung aus Landesmitteln bereit. Bei jeder Verkehrsschau wird die sichere Führung des Fuß- und Radverkehrs einschließlich der für die Sicherheit der ungeschützten Verkehrsteilnehmenden besonders relevanten Sichtfelder an Kreuzungen und Querungsstellen explizit bewertet. Über die Umsetzung wird alle zwei Jahre der Landtag unterrichtet.

Begründung: Auch wenn Verkehrsschauen eine Pflichtaufgabe nach StVO bzw. VwV-StVO darstellen, finden Sie nach Kenntnisstand des DVR aus Personalmangel häufig nicht oder zu selten statt. Die Verantwortlichkeit des Verkehrsministeriums als oberste Landesbehörde für die Durchführung auch im Zuständigkeitsbereich nachgeordneter Behörden im Sinne der Fachaufsicht sollte hier klargestellt werden.

Zu § 9: Sicherheitsaudits

Änderungsvorschlag zu § 9 (2):

Bei größeren Neu- oder Ausbaumaßnahmen an Straßen in der Baulast des Landes sollen grundsätzlich Sicherheitsaudits durchgeführt werden.

Sicherheitsaudits sind bei Neu-, Um- oder Ausbaumaßnahmen insbesondere hinsichtlich des Rad- und Fußverkehrs durchzuführen. Auch eine Auditierung der bestehenden Infrastruktur (Bestandsaudit) wird gemäß Richtlinie für das Sicherheitsaudit an Straßen (RSAS) durchgeführt. Über die Prioritätensetzung und Fortschritte der Bestandsaudits wird alle zwei Jahre der Landtag unterrichtet.

Begründung: Die vorgeschlagene Formulierung lässt in ihrer Unverbindlichkeit keine spürbare Verbesserung der Verkehrssicherheit erwarten.

Eine Auditierung der bestehenden Infrastruktur gemäß RSAS ist ein zentrales Instrument zur Gestaltung eines sicheren Verkehrssystems und der Verzicht auf eine belastbare Norm dazu im vorliegenden Gesetzentwurf ist für den DVR erstaunlich. Für das noch recht neue Instrument des Bestandsaudits sollte gelten: Eine Prioritätensetzung für Bestandsaudits ist fachlich zu erarbeiten und sollte mit dem Ziel der Transparenz und demokratischen Kontrolle Gegenstand einer regelmäßigen Unterrichtung an den Landtag sein.

Sehr erfreulich ist die gegenüber dem Referentenentwurf in Absatz 3 neu eingefügte Verknüpfung von Förderungen an die Durchführung von Sicherheitsaudits im klassifizierten Netz. Nicht optimal ist die Einschränkung „bei Bedarf“, die aber zumindest eine Begründungspflicht auslöst, warum ein Sicherheitsaudit nicht durchgeführt wurde.

Vorschlag zur Einfügung eines neuen § 7 (4):

Die Landesregierung fördert die Durchführung der Audits durch Qualifizierung der zuständigen Stellen mittels regelmäßiger Aus- und Fortbildungsmaßnahmen sowie durch die Bereitstellung der benötigten Personalmittel.

Begründung: Es muss sichergestellt werden, dass die zuständigen Stellen in der Lage sind, diese fachlich anspruchsvolle Aufgabe entsprechend zu erfüllen. In diesem Zusammenhang verweisen wir zudem auf den DVR-Beschluss „Verpflichtende Anwendung der ASR A5.2 „Straßenbaustellen“ mit Baustellenaudit vor Inbetriebnahme“1. Es ist unabdingbar, dass bei der Errichtung und dem Betrieb von Straßenbaustellen die ASR A5.2 (Anforderungen an Arbeitsplätze und Verkehrswege auf Baustellen im Grenzbereich zum Straßenverkehr – Straßenbaustellen) konsequent angewendet wird. Die Einhaltung der ASR A5.2 ist vor Inbetriebnahme einer Straßenbaustelle durch ein Audit zu prüfen.

Zu § 10: Schulische Verkehrserziehung und Mobilitätsbildung:

Änderungsvorschlag zu § 10:

Die Schülerinnen und Schüler jeder Schule haben ein Recht auf eine altersgerechte Mobilitätsbildung. Dazu zählt auch die Fahrradprüfung mit theoretischem und praktischem Teil in der Primarstufe. Die schulische Verkehrserziehung- und Mobilitätsbildung auf der Grundlage des § 29 Absatz 1 des Schulgesetzes NRW vom 15. Februar 2005 (GV. NRW. S. 102) in der jeweils geltenden Fassung wird durch Aktivitäten der Polizei ergänzend unterstützt. Dafür stellt die Polizei dauerhaft personelle Ressourcen bereit. Des Weiteren sorgt die Landesregierung dafür, dass weiteres, geeignetes Personal die schulische Verkehrserziehung und Mobilitätsbildung durchführt.

Begründung: Verkehrserziehung und Mobilitätsbildung sind eine wesentliche staatliche Aufgabe, um Leib und Leben der Schülerinnen und Schüler während der Schulzeit und darüber hinaus zu schützen. Auf diese Bildung muss ein Anrecht bestehen und dies auch deutlich gemacht werden. Die Unterstützung durch polizeiliche Präventionsarbeit darf nicht von der Einsatzplanung einzelner Polizeidienststellen abhängig sein, sondern muss als Pflichtaufgabe klargestellt werden.

Zu § 12: Grundsätze

Ergänzungsvorschlag zu § 12 (2):

Das anzustrebende Standardmaß für die Breite von Gehwegen beträgt gemäß den Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen (RASt) und den Empfehlungen für Fußverkehrsanlagen (EFA) 2,50 Meter. Als ausreichende Breite von Gehwegen sind mindestens 1,80 Meter hindernisfreie und durchgehend nutzbare Breite anzusetzen.

Begründung: Gegenüber dem Referentenentwurf bietet diese Norm nun eine gute Ausgangslage, um die Qualität und Sicherheit von Gehwegen festzuschreiben. Eine Gleichberechtigung der Fortbewegungsarten ist ohne die Berücksichtigung des Platzbedarfs anhand des Straßenquerschnitts nicht zu erreichen. Zwar wird im Begründungsteil auf die allgemein anerkannten Regeln der Technik verwiesen. Besser noch wäre ein Verweis auf das entsprechende Regelwerk in der Norm selbst. Der von der GKVS angenommene Vorschlag der Ad-hoc-AG Fußverkehrspolitik der Verkehrsministerkonferenz umfasst die konkrete Breitenangabe für Gehwege von 1,80 Metern zuzüglich der nötigen Sicherheitsabstände gemäß den Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen (RASt). Diese Fläche sollte laut dem Vorschlag der AG auch von parkenden Fahrzeugen freigehalten werden

Neu einzufügen als Absatz 4:
Bei Um- und Neubaumaßnahmen aller Straßen sind die Flächen von außen nach innen zu planen, beginnend mit dem Rad- und Fußverkehr hin zum motorisierten Verkehr.

Begründung: Der unter B. des Entwurfs und im Begründungsteil richtigerweise eingeführte Grundsatz des Planens von außen nach innen findet ansonsten im Wortlaut des Gesetzes keinen Niederschlag.

Neu einzufügen als Absatz 5:
Das Freihalten der Gehwege vom ruhenden Kraftverkehr ist eine prioritäre Aufgabe von Straßenbaulastträger, Verkehrsbehörde, Ordnungsämtern und Polizei.

Begründung: Unklar bleibt, warum ein effektives Freihalten der Gehwege vom ruhenden Kraftverkehr im Begründungsteil als Ziel postuliert wird, nicht aber im Wortlaut des Gesetzes.

Zu § 13: Planung, Bau und Betrieb von Fußverkehrsanlagen

Änderungsvorschlag zu § 13 (2):
Die Träger der Straßenbaulast sollen die Belange des Fußverkehrs bei der Schaltung von Lichtsignalanlagen gegenüber den Belangen des Kraftfahrzeug- und Radverkehrs gleichberechtigt berücksichtigen. An Lichtsignalanlagen soll der Fußverkehr möglichst konfliktfrei mit eigenen Signalphasen geführt werden; insbesondere dann, wenn erforderliche Sichtfelder auf zu Fuß Gehende nicht freigehalten werden können (z.B. bei Häuservorsprüngen), bei viel Abbiegeverkehr oder hohen Abbiegegeschwindigkeiten sowie zweistreifigem Abbiegen. Eine Überprüfung bestehender Ampelschaltungen soll in den Aktionsplan einfließen.

Begründung: Diese Norm stellt, auch in Verbindung mit dem Begründungsteil, eine große Errungenschaft für Sicherheit und Komfort des Fußverkehrs dar und sollte auch in anderen Ländern ins Verkehrsrecht und vor allem die Praxis übernommen werden.
Vorgeschlagen wird noch eine Ergänzung: Getrennte Ampelphasen können dazu beitragen, schwere Unfälle zu verhindern, die im Zusammenhang mit einem Konflikt zwischen dem (rechts) abbiegenden Kfz-Verkehr und dem geradeaus geführten Rad- und Fußverkehr stehen.

Hinweis zu § 13 (3):
Die Verankerung des Grundsatzes, dass Fuß- und Radverkehr grundsätzlich zu trennen sind, ist sehr zu unterstützen. Auch Satz 2, welcher eine Mitbenutzung des Gehwegs durch den Radverkehr nur als nachrangige Lösung vorsieht, ist in Verbindung mit dem Begründungsteil eine sehr gute Regelung.
Die Formulierung im Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die Verkehre grundsätzlich getrennt zu führen, wirkt zwar zunächst stärker, lässt aber durch das Wort „grundsätzlich“ richtigerweise ebenfalls Ausnahmen zu. Hier sind in der Anwendungspraxis sicherlich Kompromiss-Entscheidungen notwendig, die nur auf fachlicher Basis (Gefährdungspotenzial, Geschwindigkeiten, Verkehrsstärken etc.) in der Verantwortung der örtlichen Behörden entsprechend des obersten Ziels der Vision Zero zu treffen sind.

Zu § 14: Fußverkehrsnetze

Der DVR hatte in seiner Stellungnahme zum Referentenentwurf vorgeschlagen, Abweichungen vom Grundsatz aus Absatz 1 („Schaffung durchgängiger Fußverkehrsnetze“ innerorts, die den „Fußverkehr grundsätzlich direkt, sicher, komfortabel und möglichst weitgehend barrierefrei führen“) gesondert begründen zu müssen. Dies wurde erfreulicherweise aufgegriffen.

Änderungsvorschlag zu § 14 (3): Die Träger der Straßenbaulast sollen Verkehrssicherheit und Aufenthaltsqualität innerhalb der Fußverkehrsnetze gewährleisten. Zur Vorbereitung können sollen insbesondere Fußgängerverkehrsschauen der örtlich zuständigen Straßenverkehrsbehörden, Straßenbaulastträger und der Polizei, gegebenenfalls mit Beteiligung fachkundiger Personen und Personengruppen, oder Fußverkehrs-Checks durchgeführt werden. Das für Verkehr zuständige Ministerium stellt dazu Hilfestellungen und Fortbildungsangebote bereit.

Begründung: Die vorgeschlagene Formulierung verleiht der Aufforderung zur Durchführung von Fußverkehrs-Checks mehr Nachdruck.

Begrüßt wird die Bereitstellung von Hilfestellungen und Fortbildungsangeboten.

Erfreulich sind darüber hinaus auch die Ergänzungen zu Querungen in Absatz 4 und die Verknüpfung mit dem Ziel der Barrierefreiheit.

Zu § 16: Grundsätze

Hier stellt der Gesetzentwurf klar und deutlich die grundsätzlichen Aufgaben zur Förderung des Radver- kehrs bzw. der Verkehrssicherheit dar. Besonders erfreulich ist die Berücksichtigung des Radverkehrs bei jeder Maßnahme des Neu-, Um- und Ausbaus von Landesstraßen bzw. bei Sanierungsmaßnahmen in Absatz 4.

II. zum Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucksache 17/14257

Gesamtbewertung

Der vorliegende Gesetzentwurf sieht eine deutliche Stärkung des Radverkehrs in NRW vor und würde die Vision Zero als Leitziel in der Radverkehrspolitik gesetzlich verankern, was vom DVR ausdrücklich begrüßt wird.

Anders als der Gesetzentwurf der Landesregierung sieht der genannte Gesetzentwurf jedoch im Wesentlichen nur eine Stärkung des Radverkehrs, nicht aber des Fußverkehrs vor. So ist schon in der Präambel wie auch in den Zielbestimmungen des § 1 ausschließlich eine Bezugnahme auf den Radverkehr zu finden.

Hinsichtlich der Ausgestaltung eines sicheren Verkehrssystems für alle Verkehrsteilnehmenden – nichts Anderes kann aus dem Leitziel der Vision Zero folgen – muss von einer solch einseitig auf eine Verkehrsteilnahmeart abstellenden Gesetzgebung dringend abgeraten werden. In der praktischen Umsetzung, etwa der Bereitstellung von Flächen oder der Gestaltung von Kreuzungs- und Einmündungs- bereichen, sind regelmäßig Interessenkonflikte zwischen Radverkehr und Fußverkehr angelegt. Bei einer solch elementaren politischen und verwaltungspraktischen Frage lediglich in § 30 auf „beratende Beiräte“ sowie in § 31 Abs. 2 S. 4 auf eine grundsätzlich zu trennende Verkehrsführung hinzuweisen, reicht nicht aus. Auch der Konfliktlagen zwischen Verkehrsträgern ansprechende § 29 Abs. 4 fordert zwar etwas pauschal die „Auflösung der Konflikte“, würde aber bei Einhaltung aller anderen Vorgaben zum Radverkehr möglicherweise Entscheidungen zu Lasten des Fußverkehrs nicht verhindern können.

Gerade im Sinne der Vision Zero muss dem Schutz der schwächeren Verkehrsteilnehmenden, der Menschen die zu Fuß oder mit Mobilitätshilfen wie Rollstühlen, Rollatoren etc. unterwegs sind, deutlich mehr Beachtung eingeräumt werden.

Auch wenn die Gesetzesinitiative seitens Initiativen und Verbänden des Radverkehrs angestoßen wurde, sollte die politische Gelegenheit dieses Gesetzgebungsverfahrens unbedingt für eine Stärkung (der Sicherheit) auch des Fußverkehrs genutzt werden.

Der vorliegende Gesetzentwurf enthält eine auffällig hohe Anzahl von zu erstellenden Plänen und Berichten, an deren Erstellung teils hohe Anforderungen gestellt werden. Mit dem Ziel eines möglichst

effizienten Einsatzes knapper Ressourcen in den zuständigen Behörden könnte hier eine Beschränkung des Gesetzes auf Ziele und Grundsätze bei einer Straffung der prozeduralen Vorgaben für die Verwaltung im Ergebnis möglicherweise den größeren Nutzen bringen. Hier erscheinen die im Entwurf der Landesregierung vorgesehenen, Verkehrsmittel übergreifenden Pläne als Planungs- und Steuerungsinstrument vorzugswürdig.

Kommentierung im Einzelnen

Zu Präambel und § 1: Ziele
Der Gesetzentwurf greift als Gesetzeszweck in § 1 Abs. 1 zunächst auf die in der Präambel aufgeführten Ziele der Initiative „Aufbruch Fahrrad“ zurück und verquickt sie mit einer etwas schwierig durchschaubaren Nennung weiterer politischer Ziele, Aspekte und Steuerungsinstrumente. Anschließend werden in § 1 Abs. 2 weitere „eigene“ Leitziele aufgestellt. Hier dürfte eine übersichtlichere, klarere Fassung der Ziele das Verwaltungshandeln wie auch die Überprüfung des Verwaltungshandelns durch Zivilgesellschaft, Medien oder möglicherweise Gerichte erleichtern.
Hinsichtlich der Reihenfolge ist aus Sicht des DVR die Vision Zero, wie in der Präambel mit Rückgriff auf die Initiative „Aufbruch Fahrrad“ geschehen, an erste Stelle zu setzen. Dies folgt einerseits aus dem Schutzauftrag des Staates für Leib und Leben der Verkehrsteilnehmenden, andererseits aber auch funktional aus der Bedingung, eine Stärkung des Radverkehrs (und Fußverkehrs) nur durch ein höheres Maß an Sicherheit bzw. subjektiver Sicherheit für diese Verkehrsteilnahmearten erreichen zu können.

Eine Verbesserung der Sicherheit des Radverkehrs in § 1 Abs. 2 Nr. 3 sollte nicht erst „perspektivisch“ sondern unmittelbar eingefordert werden. Ansonsten würde die Vorgabe des Gesetzes hinter die am 25. Juni 2021 vom Bundesrat beschlossene und für das verkehrsrechtliche Verwaltungshandeln künftig geltende Zielbestimmung in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (Vision Zero als oberstes Ziel) zurückfallen (vgl. Bundesratsdrucksache 410/21).

Etwas überraschend für einen Gesetzentwurf ist, dass laut Begründungsteil die Aufzählung der Ziele nicht abschließend sei. Das dürfte die Einhaltung des Gesetzes erschweren.

Zu § 2: Begriffsbestimmungen

Hier sei darauf hingewiesen, dass in Absatz 10 Elektrokleinstfahrzeuge nicht zum Umweltverbund gezählt werden. Da diese die Radinfrastruktur nutzen müssen, ist das zumindest diskussionswürdig.

Zu § 7: Informations- und Serviceinfrastruktur des Radverkehrs

Hier fällt die Einbeziehung des betrieblichen Mobilitätsmanagements sehr positiv auf. Schade ist, dass die Vorgabe in Absatz 3, Anreize für die Übernahme regelmäßiger Reparatur- und Servicekosten durch die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber setzen zu sollen, auch im Begründungsteil nicht näher erläutert wird. Hier wäre aus Sicht des DVR das vorrangige Ziel, im Rahmen des betrieblichen Mobilitätsmanagements besonders die betriebliche Verkehrssicherheitsarbeit zu befördern.

Zu § 8: Öffentlichkeitsarbeit und Mobilitätsausbildung

Die Notwendigkeit, die Radverkehrssicherheit als Teil von Aus- und Fortbildungsprogrammen in Verwaltungen zu verankern, wie in Absatz 3 beschrieben, wird vom DVR ausdrücklich unterstrichen.
In Absatz 4 sollte jedoch für die schulische Mobilitätsbildung ein Schwerpunkt nicht nur auf Nachhaltigkeit im Verkehr gelegt werden, sondern die Vision Zero an erster Stelle stehen.

Zu § 10: Ausbau des Ergänzungsnetzes lokaler Radverbindungen

Die in Absatz 1 Satz 2 geforderte „duale Netzplanung hauptstraßenbegleitender Radverkehrsanlagen einerseits und verkehrsärmerer Parallelrouten auf Nebenstraßen“ in Verbindung mit der Soll-Vorschrift in Absatz 2 Satz 1, in Städten lokale Radverbindungen durch Fahrradstraßen zu realisieren, könnte in der praktischen Umsetzung auf Probleme stoßen und Konflikte zwischen den Verkehrsteilnahmearten verschärfen.

Hier ist nach Auffassung des DVR eine integrierte Netzplanung vorzuziehen, welche alle Verkehrsteilnahmearten berücksichtigt und dabei den besonders Schutzwürdigen (Fußverkehr, dann Radverkehr) durch Routenführung, Wegebreiten und möglichst bauliche Trennung das bestmögliche Schutzniveau ermöglicht. Wenn es beispielsweise durch die örtlichen Gegebenheiten nicht gelingt, den motorisierten Durchgangsverkehr anders zu führen, wird eine Fahrradstraße häufig weder die sicherste noch komfortabelste Führungsform für den Radverkehr sein. Stattdessen könnten verkehrsberuhigende Maßnahmen oder Radverkehrsanlagen diesen Zielen in vielen Fällen besser dienen.

Zu § 15: Verkehrssicherheitsprogramm

Es ist sehr zu begrüßen, dass das in Absatz 1 geforderte Verkehrssicherheitsprogramm alle Verkehrsträger und Verkehrsmittel umfassen muss.

Ob die in Absatz 2 vorgesehene jährliche Fortschreibung sachgerecht ist, wäre zu diskutieren. Hier erscheint die Vorgabe eines kontinuierlich umzusetzenden Maßnahmenplans mit Zeitangaben und kla- ren Zuständigkeiten vorzugswürdig. Absatz 3 könnte dann entfallen.

Zu § 16: Radverkehrssicherheitsbericht und -leitfaden

Hier könnte das Verfahren vereinfacht werden, indem ein Radverkehrssicherheitsbericht als umfassende Analyse unter Berücksichtigung aller Verkehrsteilnahmearten als Teil des Verkehrssicherheitsprogramms aufgefasst wird. Eine wie in Absatz 2 geforderte umfassende und systematische Analyse von Unfallursachen sollte ohnehin Ausgangspunkt eines guten Verkehrssicherheitsprogramms sein. Gleiches gilt selbstverständlich für die Ergebnisse der Unfallkommissionen (vgl. Absatz 4). Ob eine Beteiligung der Öffentlichkeit (Absatz 4 Satz 2) nicht bei der Diskussion geeigneter Maßnahmen zielführender ist, wäre zu diskutieren.
 
Bei der Betrachtung der Schulweges sind Dopplungen mit den Instrumenten der Schulwegsicherheit (Schulwegplanung) zu vermeiden.

Zu § 20: Verkehrsüberwachung

Aus Sicht des DVR sind Applikationen zur Meldung von Schäden an der Radverkehrsinfrastruktur keine Verkehrsüberwachung. Stattdessen wäre hier ein deutliches Bekenntnis zur Stärkung der Verkehrsüberwachung des fließenden und ruhenden Verkehrs angezeigt. Als besonders bewährtes Instrument seien die Fahrradstaffeln in Hamburg und Berlin genannt: In allen Großstädten sollten Fahrradstaffeln eingesetzt werden, die schwerpunktmäßig Gefährdungen und Verstöße des Rad- und Fußverkehrs kontrollieren sollten.

Zu Abschnitt §§ 21 bis 32 (Radverkehrsplanung und übergeordneter Planungsrahmen)

Hier wird auf die Ausführungen in der Gesamtbewertung verwiesen: Eine integrierte Netzplanung für alle Verkehrsteilnahmearten und eine Straffung der Planungs- und Berichtswerke sowie Gremien erscheint vorzugswürdig, um die Handlungsfähigkeit der Verwaltungen zu erhalten.
(Zur Führung des Radverkehrs auf Gehwegen (Art. 31 (2) S. 4) vgl. Hinweis zu § 13 (3) des Entwurfs der Landesregierung.)

Zu § 37: Institutionelle Förderung
Eine gesetzliche Absicherung der Förderung von AGFS, Zukunftsnetz Mobilität NRW und Landesverkehrswacht wird vom DVR ausdrücklich begrüßt.