Braucht uns das Auto noch?

Unter dem Titel „Braucht uns das Auto noch?“ lud der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) zum diesjährigen DVR-Kolloquium nach Bonn ein.
13.12.2013
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Braucht uns das Auto noch?

Unter dem Titel „Braucht uns das Auto noch?“ lud der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) zum diesjährigen DVR-Kolloquium nach Bonn ein.

DVR-Kolloquium „Automatisiertes Fahren und die Folgen“

Braucht uns das Auto noch?

Bonn, 13. Dezember 2013 (DVR) – Das Auto gibt selbstständig Gas, lenkt, bremst und überholt. Der Fahrer lehnt sich entspannt zurück und überlässt dem Auto alle Aufgaben des Fahrens. Eine ferne Zukunftsvision oder ist es vielmehr eine Frage der Zeit, bis dieses Szenario Wirklichkeit wird? Automobilhersteller und -zulieferer schicken vollautomatisierte Prototypen bereits auf die Teststrecken. Dennoch besteht in Fachkreisen enormer Diskussionsbedarf. Unter dem Titel „Braucht uns das Auto noch?“ lud der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) zum diesjährigen DVR-Kolloquium nach Bonn ein. Unterstützt wurde die Veranstaltung von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) und dem Auto- und Reiseclub Deutschland (ARCD).

Was beim Autopilot im Flugzeug von allen hingenommen wird, schürt bei der Übertragung auf den Pkw Skepsis und Ängste. Die Kontrolle der „Maschine Pkw“ zu überlassen – diese Vorstellung bereitet vielen Fahrern Unbehagen. Wer haftet, wenn es zum Unfall kommt? Was genau ist teil- und vollautomatisiertes Fahren? Und: wollen wir das eigentlich? Diesen und weiteren Fragen rund um das automatisierte Fahren widmeten sich die rund 130 Experten aus Politik, Wissenschaft und Forschung sowie Industrie und Verbänden. Die Bedeutung des automatisierten Fahrens für die Verkehrssicherheit stand dabei im Fokus.

Offene Fragen

DVR-Präsident Dr. Walter Eichendorf gab in seiner Begrüßung seine persönliche Überzeugung zum Thema preis: „Es ist nicht die Frage ob, sondern ab wann automatisiertes Fahren Realität sein wird.“ Auf Autobahnen könne heute schon gefahren werden, ohne zu lenken oder zu bremsen. In Städten sei die Verkehrssituation viel komplexer und das bedeute große Herausforderungen für die Technik. „Technisch ist schon vieles möglich, doch bis es vollautomatisierte Fahrzeuge auf unseren Straßen gibt, sind noch zahlreiche Fragen zu beantworten“, stellte der DVR-Präsident fest.

Mit Fragen der Haftung und des Datenschutzes befasst sich auch das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS). Ministerialdirigent Christian Weibrecht, Leiter der Unterabteilung Straßenverkehr im BMVBS, betonte, dass die Politik gemeinsam mit der Industrie die Rahmenbedingungen für das automatisierte Fahren schaffen müsse. Aus diesem Grund habe das BMVBS drei runde Tische eingerichtet, in denen die Fachdiskussion zu rechtlichen Fragen, zu weiterem Forschungsbedarf und zur Mensch-Maschine-Schnittstelle geführt werde.

ARCD-Umfrage

Eine Mitgliederbefragung zum automatisierten Fahren präsentierte ARCD-Präsident Wolfgang Dollinger. Danach konnten sich 32 Prozent der befragten ARCD-Mitglieder vorstellen, mit einem vollautomatisierten Fahrzeug unterwegs zu sein. 34 Prozent gaben das zumindest für bestimmte Strecken an, ebenfalls 34 Prozent lehnten vollautomatisiertes Fahren ab. Mit Blick auf die Fehleranfälligkeit des Menschen, rund 90 Prozent aller Straßenverkehrsunfälle sind auf menschliches Fehlverhalten zurückzuführen, betonte Dollinger das Sicherheitspotenzial, das in technischen Systemen steckt: „Durch automatisiertes Fahren lässt sich über verschiedene Parameter mehr Rücksicht in den Straßenverkehr hineinkonfigurieren.“

Stufen des automatisierten Fahrens

Perspektiven der Automobilindustrie zeigte Hans-Thomas Ebner, Abteilungsleiter Technik des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), auf. Motivation für automatisiertes Fahren sei es, im Sinne der Vision Zero die Unfallzahlen zu reduzieren, indem menschliche Fahrfehler vermieden werden. Ferner gehe es darum, Verbrauch und Emission zu reduzieren und den Verkehrsfluss zu optimieren. Außerdem könne automatisiertes Fahren hinsichtlich des demografischen Wandels unsichere Fahrer unterstützen und die Mobilität im Alter steigern.

Der Technikexperte stellte die verschiedenen Stufen des automatisierten Fahrens vor: Vom assistierten und teilautomatisierten Fahren, das es bereits in Serie gebe, über hochautomatisiertes und vollautomatisiertes Fahren bis hin zum fahrerlosen Fahren, das noch erforscht und entwickelt werden müsse.

Auch Ebner machte deutlich, dass gemeinsame Anstrengungen von Automobilindustrie und Politik erforderlich seien, das hohe Potenzial automatischer Fahrfunktionen auszuschöpfen.

Verhaltenseffekte für den Fahrer

In die „Rolle des Mahners“ schlüpfte der Psychologe Tobias Ruttke von der Universität Jena, der den Einfluss auf das Verhalten der Fahrer beleuchtete. Löse man aus der Gesamtfahraufgabe Teile heraus, die von der Technik übernommen werden, reduziere man damit auch die Beanspruchung. „Damit wird aber immer auch die Situation und ihre Gesamtwahrnehmung verändert“, so Ruttke. Diese negative Veränderung der situativen Aufmerksamkeit sei für assistiertes und teilautomatisiertes Fahren zum Teil bereits nachgewiesen. Systeme würden bewusst entgegen des eigentlichen Zwecks verwendet, zum Beispiel der Spurhalteassistent bei Müdigkeit. Oder der Fahrer wende sich fahrfremden Sekundäraufgaben zu.

Aus der Tatsache, dass die meisten Unfälle aus menschlichen Fehlern resultierten, werde häufig abgeleitet, den Fahrer zu ersetzen und damit Unfälle zu verhindern. „Das Folgeproblem ist: Das Ersetzen des Fahrers durch einen automatischen Fahrer verhindert erstens nicht den menschlichen Fehler und zweitens nicht die Entstehung von Unfällen“, erläuterte der Psychologe.

Der Wissenschaftler geht davon aus, dass ab 2020 autonome Fahrzeuge auf unseren Straßen unterwegs sein könnten. Offene Fragen seien die Interaktion zwischen automatisierten und nicht automatisierten Fahrzeugen oder auch das Problem defekter Systeme mit unerkannten Fehlfunktionen. „Die Verkehrsumwelt ist dynamisch und komplex, der Mensch ist intelligent und übertragungs- und prognosefähig. Automatische Systeme sind das nicht“, sagte Ruttke.

Ein weiteres Problem sei das übermäßige Vertrauen in die Systeme. Dies könne zu einer Tendenz führen, die Entscheidungen der Systeme nicht mehr zu überprüfen. Verhaltenseffekte durch assistiertes und autonomes Fahren seien unter anderem reduzierte Aufmerksamkeit, Ablenkung, Überlastung durch weitere sensorische Reize, verlängerte Reaktionszeiten und aus Monotonie resultierende Müdigkeit sowie riskanteres Fahrverhalten und eine Sicherheitsillusion. Vor dem Hintergrund „einer solchen grundlegenden Aufgabenveränderung für eine grundsätzlich gefährliche Tätigkeit müssen diese Effekte vor der Einführung weiterer Automatisierungsstufen dringend intensiver geprüft werden“, appellierte Ruttke an die Entscheidungsträger. Der Fahrer müsse in der Lage sein, Systeme korrekt zu bedienen und einzuschätzen: „Menschliches Denken, Fühlen und Handeln gehören in das System Straßenverkehr ebenso wie die Technik und Organisation.“

Hoher Forschungsbedarf

In der anschließenden von Marco Seiffert (Radio Eins, Rundfunk Berlin-Brandenburg) moderierten Podiumsdiskussion ging es um die Frage, wie weit das automatisierte Fahren gehen wird. „Es ist eine sportliche Herausforderung, dass künftige Systeme nicht schlechter sein dürfen als sie heute sind“, sagte Dr. Matthias Kühn von der Unfallforschung der Versicherer (UDV). Das Kriterium sei das Sicherheitsniveau. Hier habe man schon viel erreicht und dürfe nicht schlechter werden. Dies sei im Rahmen der Strategie Vision Zero der richtige Maßstab. Zudem müsse berücksichtigt werden, dass die Fahrzeuge am Ende nur das können, was die Ingenieure vorgegeben haben, ergänzte Jürgen Bönninger von der FSD Fahrzeugsystemdaten GmbH. Natürlich würden im Laufe dieses Prozesses Fahrer bestimmte Fähigkeiten verlernen, aber sie würden dafür andere dazugewinnen. Technischer Fortschritt gehe immer mit menschlichem Wandel einher, entgegnete er dem Psychologen. Bis der Mensch sich ganz vom Fahren verabschieden könne, würden noch Jahrzehnte ins Land gehen. Dieser Prozess müsse weiterhin interdisziplinär begleitet werden.

Überzeugt von der Innovationskraft der Industrie zeigte sich Christian Theis, Leiter des Referates „Fahrzeugtechnik“ im BMVBS. Nach seiner Auffassung werden sich Systeme durchsetzen, die neben mehr Sicherheit auch den Komfort für die Fahrer erhöhen.
Beim Thema rechtliche Rahmenbedingungen kommt es laut Theis darauf an, eine einheitliche, international anerkannte Definition des automatisierten Fahrens zu schaffen.

Einig waren sich die Experten, dass die Akzeptanz der Fahrer für technische Systeme immer im Vordergrund stehen müsse. Vom automatisierten Fahren sei man noch meilenweit entfernt, allerdings sei hochautomatisiertes Fahren auf der Autobahn in einigen Jahren durchaus möglich.

Auf absehbare Zeit wird uns das Auto also noch brauchen, denn der Weg zum automatisierten Fahren ist lang. Es gibt eine Fülle an technischem Forschungsbedarf und juristischen Fragestellungen. Dr. Eichendorf unterstrich, dass der DVR diesen Prozess aktiv unterstützen und begleiten werde: „Für mich ist diese Entwicklung ein Schritt in Richtung Vision Zero. Eine Aufgabe des DVR wird sein, über den Fortgang dieses Prozesses kontinuierlich zu informieren.“