Erhöhung der Helmtragequote bei Rad fahrenden Senioren
- Ältere Menschen
- Fahrrad und Pedelec
Deutscher Verkehrssicherheitsrat – 2016
Beschluss
Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) empfiehlt angesichts der Erkenntnisse der Unfallforschung und aktueller Unfallstatistiken weiterhin das Tragen eines Fahrradhelms. Dabei sollte im Rahmen von Kampagnen, Programmen und der Öffentlichkeitsarbeit die Nutzung eines Fahrradhelms gerade für Rad fahrende ältere Personen besonders eindringlich und schwerpunktmäßig kommuniziert werden. Die aktuelle Tragequote der Rad Fahrenden ab 61 Jahren ist mit 18% eindeutig als zu gering zu bewerten und sollte mittelfristig (bis 2020) auf mindestens 30% steigen.
Die Helmhersteller bieten mittlerweile Modelle an, die sich mit ihren Designs nicht nur an sportlich ambitionierte Rad Fahrende, sondern auch an Alltags- und Freizeit Fahrende wenden. Das Erscheinungsbild mit Helm und der Tragekomfort sollten daher keine entscheidenden Hinderungsgründe für die Helmnutzung mehr darstellen. An die Entwickler und Hersteller von Helmen appelliert der DVR, bei künftigen Entwicklungen der Helme die besonderen Anforderungen und Wünsche älterer Nutzer (z.B. hinsichtlich Bänderung und Einstellung) stärker zu berücksichtigen. Hierzu werden die Entwickler und Hersteller von Helmen gebeten, hinsichtlich Gestaltung, Vermarktung und Kommunikation mit Präventionsfachleuten in einen engen Dialog zu treten.
Der Nutzen, auch auf vermeintlich sicheren und kurzen Strecken einen Fahrradhelm zu tragen, muss noch stärker vermittelt werden, ohne die positiven Aspekte des Radfahrens auch im Alter in Frage zu stellen. Hierzu sollten vor allem die Kommunikationsmittel eingesetzt werden, die sich besonders an die Altersgruppe 65+ richten. Multiplikatoren sollten ältere Rad Fahrende erreichen, die keinen Führerschein haben oder das Internet nicht nutzen.
Neben der Vermittlung der Schutzfunktion eines Helmes, auch bei geringer Geschwindigkeit, sollte auch das richtige Einstellen, Aufsetzen und Befestigen des Helms kommuniziert werden.
Hintergrund
Radfahren hat sich in den letzten Jahren auch bei Menschen der Generation 65 + zu einer zunehmend beliebten Mobilitätsart entwickelt. Radfahren bietet nicht nur die Möglichkeit, ohne Führerschein und/oder Nutzung öffentlichen Personennahverkehrs kurze und größere Wege zurückzulegen, sondern wird auch als Mittel zur Erhaltung der persönlichen Fitness und in der Freizeit genutzt. Gerade Fahrräder mit elektromotorischer Tretunterstützung (Pedelec) werden von der Altersgruppe 65 und älter überdurchschnittlich häufig genutzt, weil sie gesunde Körperbewegung ohne Überanstrengung erlauben und damit auch in topografisch anspruchsvollerem Gelände einsetzbar sind.
2015 verunglückten 13.685 Rad Fahrende über 65 Jahre im Straßenverkehr, 198 davon verstarben und 3.813 wurden schwer verletzt1 . Personen dieses Alters stellten 52% aller getöteten Fahrradfahrerinnen und Fahrradfahrer (383). Die Anzahl der getöteten Rad Fahrenden dieser Altersgruppe schwankt in den letzten zehn Jahren und ist gegenüber 2014 sogar um 28 Personen zurückgegangen. Bei Betrachtung der Anzahl der Schwerverletzten ist jedoch kein Rückgang zu verzeichnen; hier nahm die Anzahl von 2.989 im Jahr 2005 auf 3.813 im Jahr 2015 zu. Während die Anzahl aller verunglückten Rad Fahrenden zwischen 2005 und 2015 mit Schwankungen gleich geblieben ist (rund 75.000)2 , ist dies bei dieser Altersgruppe nicht festzustellen. Hier nahm die Anzahl der verunglückten Rad Fahrenden von 10.683 auf 13.685 zu.
Kopfverletzungen sind bei getöteten Rad Fahrenden die häufigste genannte Todesursache. Bei 215 getöteten Benutzern und Benutzerinnen von Fahrrädern im Jahr 2015 wurden Kopfverletzungen als Todesursache angegeben3 .
Die Hälfte der 117 getöteten und obduzierten Radfahrerinnen und Radfahrer, die in der Datenbank des Institutes für Rechtsmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität München erfasst sind, waren 65 Jahre und älter. Kopfverletzungen waren bei 53% der 117 getöteten Rad Fahrenden die Todesursache. 5% der 117 Getöteten trugen zum Unfallzeitpunkt einen Helm4 .
Eine weitere Studie der Medizinischen Hochschule Hannover zeigt den signifikanten Einfluss des Alters auf die Entstehung von Kopfverletzungen, aber auch die signifikante Verringerung von Kopfverletzungen bei Helm Tragenden5 .
Ab einem Alter von 50 Jahren ist ein Radhelm zur Reduktion der Kopfverletzungsschwere besonders effektiv.
Bei der Analyse von 543 verletzten Radfahrerinnen und Radfahrern, die nach einem Unfall im Universitätsklinikum Münster und Universitätsklinikum München behandelt wurden6 , wiesen 239 (44%) Kopfverletzungen unterschiedlicher Schwere auf, bei den übrigen 304 (56%) lagen die Verletzungen ausschließlich in anderen Körperregionen. Über die Hälfte aller kopfverletzten Rad Fahrenden (55%) war ohne Fremdbeteiligung verunglückt. Die Helmtragequote betrug etwa 14% in der Altersgruppe 65+ und etwa 17% bei Rad Fahrenden unter 65 Jahren. Während der Anteil von Personen mit einem Alter von 65 Jahren und älter im gesamten Fallmaterial nur knapp 13% betrug, machte diese Altersgruppe unter Verunglückten mit schweren Kopf- oder Gesichtsverletzungen (AIS 3+) mehr als die Hälfte aus (11 von 21; das heißt 52%). Hingegen erlitt keine verunglückte Helm tragende Person am Kopf oder Gesicht eine Verletzung AIS 3+ oder eine Schädelfraktur.
Die Helmtragequote bei Radfahrerinnen und Radfahrern ab 65 lag 2015 innerorts bei etwa 18 % und damit im Durchschnitt aller Altersgruppen, der allerdings durch die hohe Tragequote bei Kindern positiv beeinflusst wird7 .
Auf Grundlage von Befragungen von 1.456 Rad Fahrenden im Rahmen der Erhebung „Verkehrsklima 2016“ der Unfallforschung der Versicherer geben allerdings 75 % der Personen in der Altersgruppe ab 70 Jahren an, nie einen Kopfschutz zu nutzen und nur 13 %, oft oder immer einen Helm zu tragen7 .
Schlussfolgerungen
Die Entwicklung verunglückter Rad Fahrender ab 65 Jahre ist in den letzten Jahren, anders als der allgemeine Trend bei Radfahrern und Radfahrerinnen, nachteilig verlaufen.
Zwar fahren Personen dieser Altersgruppe im allgemeinen eher geruhsam Fahrrad, die Fähigkeiten zur Orientierung, der Erfassung komplexer Verkehrssituationen und die physischen Ressourcen nehmen tendenziell jedoch ab. Daher besteht auch ein erhebliches Risiko, allein zu verunfallen und sich zu verletzen.
Der Anteil der Generation 65+ unter verunglückten Radfahrerinnen und Radfahrern mit schweren und lebensbedrohlichen Kopfverletzungen ist weit überdurchschnittlich. Mit zunehmendem Alter steigt die Verletzlichkeit des Körpers und sinkt die Fähigkeit zur schnellen Regeneration nach Verletzungen. Selbst bei vergleichbaren Anprallbelastungen sind für ältere Rad fahrende Personen schwerere Schädel-Hirn-Traumata oder schwerere Verletzungsfolgen zu erwarten als bei jüngeren. Darüber hinaus können regelmäßig eingenommene Medikamente, wie Blutverdünnung und Anti-Koagulationsmittel, die Situation nach Hirnblutungen verschärfen.
Ein Fahrradhelm bietet nachweislich ein deutlich höheres Schutzniveau gegen schwere Schädel-Hirn-Traumata und Gesichtsverletzungen. Angesichts der besonderen Empfänglichkeit von älteren Radfahrerinnen und Radfahrern für schwere Kopfverletzungen ist vom getragenen Fahrradhelm eine erhebliche Schutzwirkung für diese Personengruppe zu erwarten.
gez.
Dr. Walter Eichendorf
Präsident
1 Statistisches Bundesamt: Unfälle von Senioren im Straßenverkehr 2015, erschienen 31. August 2016
2 Statistisches Bundesamt: Verkehrsunfälle, Zeitreihen 2015
3 Statistisches Jahrbuch – Todesursachen in Deutschland – 2014, Fachserie 12, Reihe 4, Wiesbaden, 2015
4 Bauer, K. et al., Untersuchungen zur Schutzwirkung des Fahrradhelms, Forschungsbericht, Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V., Unfallforschung der Versicherer, Berlin, 2015
5 D. Otte, T. Facius, B. Wiese: Einflüsse auf das Verletzungsrisiko des Kopfes von Radfahrern und Nutzen von Radhelmen zur Vermeidung und Minderung von Verletzungen; in: VKU Verkehrsunfall und Fahrzeugtechnik,| September 2013
6 Malczyk, A. et al., Head Injuries in Bicyclists and Associated Crash Characteristics, IRCOBI Conference, Dublin, 12. – 14. September 2014
7 Bundesanstalt für Straßenwesen: Gurte, Helme, Kindersitze und Schutzkleidung – 2015, Forschung kompakt 15/16
8 Omnitrend, Repräsentative Befragung zum Thema Verkehrssicherheit – Verkehrsklimaindex 2016, Bericht vom 4. Juli 2016 für den Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (nicht veröffentlicht) und Unfallforschung der Versicherer, Verkehrsklima in Deutschland 2016, Präsentation zum Pressegespräch am 10. August 2016, Internet: https://udv.de/de/publikationen/praesentationen/verkehrsklima-deutschland-2016