Beschluss

Fahrkompetenz von Seniorinnen und Senioren erhalten und verbessern

Ziel ist es, die Verkehrssicherheit der älteren Pkw-Fahrerinnen und Pkw-Fahrer selbst und aller anderen Verkehrsteilnehmenden zu gewährleisten. Auf den Aspekt der Fahreignung wird in diesem Beschluss nur insoweit eingegangen, als es zur Unterscheidung und Abgrenzung zur Fahrkompetenz notwendig ist.
09.10.2023
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Beschluss

Fahrkompetenz von Seniorinnen und Senioren erhalten und verbessern

Ziel ist es, die Verkehrssicherheit der älteren Pkw-Fahrerinnen und Pkw-Fahrer selbst und aller anderen Verkehrsteilnehmenden zu gewährleisten. Auf den Aspekt der Fahreignung wird in diesem Beschluss nur insoweit eingegangen, als es zur Unterscheidung und Abgrenzung zur Fahrkompetenz notwendig ist.

  • Vorstandsbeschluss: Fahrkompetenz von Seniorinnen und Senioren

Einführung

Die Pkw-Mobilität spielt im Alter eine zentrale Rolle für die gesellschaftliche Teilhabe, ein positives Selbstbild und die Lebenszufriedenheit1. Dies zeigt sich besonders für ältere Personen im ländlichen Raum, wo oft wenig Mobilitätsalternativen zum eigenen Pkw bestehen.

Mit zunehmendem Alter kommt es bei allen Menschen zu einer Abnahme der sensorischen, kognitiven und motorischen Leistungsfähigkeiten. Hierbei bestehen große Variationen zwischen den älteren Personen. Diese Abnahme hat auch Konsequenzen für die Fahrkompetenz und das Unfallgeschehen im Straßenverkehr. Sind Seniorinnen und Senioren ab 75 Jahren als Pkw-Fahrende an Unfällen beteiligt, gelten sie in drei von vier Fällen als Hauptverursacherin bzw. Hauptverursacher des Unfalls. Gemessen an ihrer Fahrleistung verursachen Pkw-Fahrerinnen und Pkw-Fahrer ab 75 Jahren 1,8-mal so viele Unfälle mit Personenschaden als es ihr Anteil an der Fahrleistung erwarten lassen würde2. Dies entspricht in etwa dem Unfallrisiko von 21- bis 24-jährigen Fahrerinnen und Fahrern.

Die Fahrkompetenz umfasst alle Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie Wissen, welche zur erfolgreichen Bewältigung der Anforderungen und Situationen im motorisierten Straßenverkehr benötigt werden3. Davon abzugrenzen ist die Fahreignung. Diese umfasst die notwendigen psychischen (geistigen) und physischen (körperlichen) Mindestanforderungen, um ein Kfz sicher zu führen4.

Ältere Pkw-Fahrerinnen und Pkw-Fahrer können die Mindestanforderungen erfüllen (=fahrgeeignet sein), gleichzeitig jedoch charakteristische Einschränkungen in der Fahrkompetenz und Auffälligkeiten im Unfallgeschehen aufweisen. Daher ist eine besondere Unterstützung der älteren Pkw-Fahrerinnen und Pkw-Fahrer beim Erhalt und der Verbesserung ihrer Fahrkompetenz notwendig.

Aufbauend auf dem Beschluss des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR) e.V. „Verkehrssicherheitsarbeit für Ältere in Zeiten des demographischen Wandels“ vom 22.05.2019 stehen in diesem Beschluss die besonderen Herausforderungen für ältere Pkw-Fahrerinnen und Pkw-Fahrer im Mittelpunkt. Ziel ist es, die Verkehrssicherheit der älteren Pkw-Fahrerinnen und Pkw-Fahrer selbst und aller anderen Verkehrsteilnehmenden zu gewährleisten. Auf den Aspekt der Fahreignung wird in diesem Beschluss nur insoweit eingegangen, als es zur Unterscheidung und Abgrenzung zur Fahrkompetenz notwendig ist.

Empfehlungen

  • Der DVR tritt dafür ein, dass zur Gewährleistung einer sicheren Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr Maßnahmen zum Erhalt der Fahrkompetenz eingeführt werden.
  • Der Aspekt der Fahrkompetenz ist vom Aspekt der Fahreignung klar zu unterscheiden.
  • Verpflichtende Fahreignungstests für alle älteren Pkw-Fahrerinnen und Pkw-Fahrer, also auch ohne begründete Zweifel an deren Fahreignung, werden als nicht zielführend zur Ermittlung der Fahrkompetenz erachtet und abgelehnt.
  • Maßnahmen zum Erhalt der Fahrkompetenz sollten spätestens ab dem 75. Lebensjahr ansetzen, da ab diesem Alter die Leistungsfähigkeit messbar sinkt und gleichzeitig der Anteil der Seniorinnen und Senioren als Hauptverursachende bei Unfällen mit Personenschaden steigt.
  • Die freiwillige Teilnahme an Maßnahmen zum Kompetenzerhalt ist aus Akzeptanzgründen zu bevorzugen und intensiv zu bewerben. Sofern die Zielgruppe dadurch nicht zufriedenstellend erreicht wird, wird das BMDV gebeten, über weiterführende Zugänge nachzudenken.
  • Selbsteinschätzungen und Selbsttests eignen sich für die Ansprache und Kommunikation mit Seniorinnen und Senioren. Sie eignen sich aber nicht als Instrumente zur Diagnose oder zum Erhalt der Fahrkompetenz.
  • Maßnahmen zum Erhalt der Fahrkompetenz sollten auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Veränderung der Leistungsfähigkeit im Alter und dem Unfallgeschehen von älteren Pkw-Fahrerinnen und Pkw-Fahrern beruhen.
  • Die Fahrkompetenz kann durch eine Fahrverhaltensbeobachtung im Realverkehr ermittelt werden. Diese ist gegenüber anderen diagnostischen Maßnahmen (z.B. Sehtest, kognitive Tests) vorzuziehen, da nur sie eine realistische Einschätzung der tatsächlichen Fahrkompetenz ermöglicht.
  • Die Rückmeldefahrt umfasst eine standardisierte Fahrverhaltensbeobachtung mit anschließender qualifizierter Rückmeldung. Die Fahrkompetenz kann durch eine standardisierte Rückmeldefahrt nachweislich verbessert werden.
  • Der DVR wird Standards für Rückmeldefahrten für Seniorinnen und Senioren in seine Angebote aufnehmen.
  • Weitere Maßnahmen zum Erhalt und zur Verbesserung der Fahrkompetenz sind evidenzbasiert zu entwickeln und in Bezug auf ihre Wirksamkeit zu evaluieren.

Erläuterungen

Pkw-Fahrerinnen und Pkw-Fahrer ab 75 Jahren sind gemessen an ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung unterproportional häufig an Verkehrsunfällen mit Personenschaden beteiligt. 5,6. Das liegt daran, dass ältere Fahrerinnen und Fahrer weniger Kilometer im Straßenverkehr zurücklegen.7 Allerdings wurden in drei Viertel der Pkw-Unfälle von Fahrerinnen und Fahrern über 75 Jahren mit Personenschäden, diese selbst als Hauptverursachende festgestellt.8 Dieser Anteil liegt sogar noch über dem der verkehrssicherheitskritischen Gruppe der 18- bis 21-jährigen Pkw-Fahrerinnen und Pkw-Fahrer – und ist der höchste über die Altersspanne hinweg betrachtet.

Bezieht man zusätzlich die Anzahl der Unfälle von älteren Fahrerinnen und Fahrern auf ihre tatsächlich im Verkehr zurückgelegten Kilometer (Fahrleistung), so zeigt sich, dass diese ein hohes Unfallrisiko aufweisen. Gemessen an ihrer Fahrleistung verursachen Pkw-Fahrerinnen und Pkw-Fahrer ab 75 Jahren 1,8-mal so viele Unfälle mit Personenschaden als es ihr Anteil an der Fahrleistung erwarten lassen würde.9 Dies entspricht in etwa dem Unfallrisiko von 21- bis 24-jährigen Fahrerinnen und Fahrern.

Abbildung 1: Fahrleistungsbezogenes Risiko mit dem Pkw einen Unfall mit Getöteten oder Schwerverletzten zu verursachen, nach Altersgruppen.

Abbildung 1: Fahrleistungsbezogenes Risiko mit dem Pkw einen Unfall mit Getöteten oder Schwerverletzten zu verursachen, nach Altersgruppen

Betrachtet man nur die schweren Unfälle (Abbildung 1), also Unfälle mit Getöteten oder Schwerverletzten, so stellt sich die Situation noch ungünstiger dar. Die Gesamtgruppe der Pkw-Fahrerinnen und Pkw-Fahrer ab 75 Jahre verursacht 2,5-mal so viele schwere Unfälle als man es aufgrund ihrer Fahrleistung erwarten würde. Differenziert man die Altersgruppe ab 75 Jahren in 5-Jahres-Schritten, so wird ersichtlich, dass das Risiko mit zunehmendem Alter deutlich ansteigt (Abbildung 1). Das liegt daran, dass die älteren Pkw-Fahrerinnen und Pkw-Fahrer aufgrund ihrer höheren körperlichen Verletzlichkeit selbst ein höheres Risiko haben getötet oder schwer verletzt zu werden.

Problemfelder und Ressourcen älterer Pkw-Fahrerinnen und Pkw-Fahrer

Verschiedene Studien haben gezeigt, dass ältere Pkw-Fahrerinnen und Pkw-Fahrer insbesondere Schwierigkeiten in komplexen Situationen haben, in denen sie zeitkritische Entscheidungen treffen müssen. Das betrifft zum Beispiel das Befahren von Knotenpunkten, Links- und Rechtsabbiegen, oder die Kommunikation mit anderen Verkehrsteilnehmenden. Diese Problemfelder spiegeln sich auch in der Unfallstatistik wider. So werden bei älteren Pkw-Fahrerinnen und Pkw-Fahrern vermehrt die Missachtung der Vorfahrt und Fehler beim Abbiegen als typische Unfallursachen registriert (Abbildung 2). Demgegenüber treten bewusste Regelverstöße, wie z.B. Geschwindigkeitsverstöße oder das Fahren unter Alkohol im Alter deutlich seltener auf.

Abbildung 2 Fehlverhalten der Fahrer je 1.000 Beteiligte nach Altersgruppe bei Unfällen mit Personenschaden

Abbildung 2: Fehlverhalten der Fahrer je 1.000 Beteiligte nach Altersgruppe bei Unfällen mit Personenschaden

Der Fahrstil der Älteren ist oft von einer geringeren Risikobereitschaft und weniger Impulsivität geprägt. Sie fahren oft insgesamt langsamer als andere Altersgruppen und mit einem größeren Sicherheitsabstand. Generell scheinen sie ungünstige Verkehrszeiten und -situationen zu vermeiden.10 Sie sind zudem sensibler für ihre eigene Verletzlichkeit und die Verletzlichkeit anderer Personen.

Bedenklich hingegen ist die Tatsache, dass die charakteristischen Veränderungen in der Leistungsfähigkeit sowie in der Fahrkompetenz, welche sich schleichend vollziehen, von den Älteren selbst oft nicht ausreichend wahrgenommen werden. Befragungsstudien zeigen, dass ältere Pkw-Fahrerinnen und Pkw-Fahrer ihre eigene Fahrkompetenz stärker überschätzen als andere Altersgruppen dies tun.11 Solche Fehleinschätzungen der eigenen Fahrkompetenz finden sich auch in Studien, in denen eine Fahrverhaltensbeobachtung durchgeführt wurde.12,13

Ältere Pkw-Fahrerinnen und Pkw-Fahrer verfügen zumeist über viel Fahrerfahrung und glauben, damit die Einschränkungen vollständig kompensieren zu können. Daraus kann ein übermäßig positives Selbstbild auf Seiten der Seniorinnen und Senioren entstehen. Eine realistische Selbsteinschätzung im Hinblick auf das Fahren ist aber wichtig, denn nur mit dieser kann das Fahrverhalten entsprechend angepasst werden.

Fahreignung vs. Fahrkompetenz

Einem positiven Selbstbild auf Seiten der älteren Pkw-Fahrerinnen und Pkw-Fahrer steht in der Gesellschaft ein negatives Altersstereotyp gegenüber. Nach typischen Unfällen von älteren Pkw-Fahrerinnen oder Pkw-Fahrern wird in der Öffentlichkeit oft die Forderung nach einer Überprüfung der Fahreignung laut. Allerdings sind charakteristische Fahrfehler und Unfallursachen älterer Fahrerinnen und Fahrer nicht gleichzusetzen mit mangelnder Fahreignung.

Unter Fahreignung versteht man die physischen (körperlichen) und psychischen (geistigen) Mindestanforderungen, um ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr sicher zu führen. Die Fahreignung ist weder zeitlich umschrieben noch ereignisbezogen. Gemäß §11 FeV (Eignung) müssen Bewerberinnen und Bewerber diese Mindestanforderungen erfüllen, um zum Führen eines Kraftfahrzeugs zugelassen zu werden. Die Mindestanforderungen sind nicht erfüllt, wenn eine Erkrankung oder ein Mangel nach Anlage 4 oder 5 vorliegt oder die Person erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen hat. Beides schließt die Eignung oder die bedingte Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeuges aus.

Die Fahrkompetenz hingegen bezieht sich auf die ausreichende Befähigung zum selbständigen Führen eines Kraftfahrzeugs im motorisierten Straßenverkehr. Ältere Pkw-Fahrerinnen und Pkw-Fahrer können die körperlichen und geistigen Mindestanforderungen erfüllen (=fahrgeeignet sein), und gleichzeitig Einschränkungen in der Fahrkompetenz aufgrund verringerter Leistungsfähigkeit aufweisen. Dies zeigt sich u.a. in charakteristischen Schwerpunkten im Unfallgeschehen. Daher muss sowohl in der Diskussion als auch bei den Maßnahmen für ältere Pkw-Fahrerinnen und Pkw-Fahrer klar zwischen der Fahreignung und der Fahrkompetenz unterschieden werden.

Geeignete Maßnahmen zum Erhalt der Fahrkompetenz sind von denen zur Überprüfung der Fahreignung abzugrenzen.

Mögliche Maßnahmen

Rückmeldefahrt

Eine wirksame Maßnahme zum Erhalt und zur Verbesserung der Fahrkompetenz ist die Rückmeldefahrt. Die Rückmeldefahrt besteht aus einer Fahrt im Realverkehr, begleitet von einer Fahrtbeobachterin oder einem Fahrtbeobachter. Die, Fahrstrecke besteht aus Fahraufgaben, die typischerweise für ältere Pkw-Fahrerinnen und Pkw-Fahrer anspruchsvoll sind (mittlerer Schwierigkeitsgrad), unter Berücksichtigung der verkehrlichen Bedingungen vor Ort (z.B. Stadt vs. Land). Das Fahrverhalten wird dabei mittels eines standardisierten Beobachtungs- und Bewertungssystems durch eine geschulte Fahrtbeobachterin oder einen Fahrtbeobachter beurteilt. Anschließend wird der älteren Pkw-Fahrerin bzw. dem älteren Pkw-Fahrer eine individuelle Rückmeldung zur Fahrkompetenz gegeben. Die Rückmeldung „auf Augenhöhe“ zeigt den Pkw-Fahrerinnen und Pkw-Fahrern ihre Stärken und Schwächen sowie Möglichkeiten zum Erhalt einer sicheren Pkw-Mobilität auf. Mehrere wissenschaftliche Studien haben die Akzeptanz und Wirksamkeit der Rückmeldefahrt zum Erhalt und zur Verbesserung der Fahrkompetenz nachgewiesen.14,15,16 Der DVR wird die genannten Standards für Rückmeldefahrten für Seniorinnen und Senioren in seine Angebote aufnehmen.

Die Rückmeldefahrt richtet sich an aktive Pkw-Fahrerinnen und Pkw-Fahrer ab 75 Jahren, deren Fahreignung nicht in Frage steht. Sie stellt keine erneute Fahrprüfung dar. Als Fahrtbeobachterin oder Fahrtbeobachter eignen sich Berufsgruppen mit einer Qualifikation in den Bereichen Fahrverhalten, Fahrverhaltensbeobachtung sowie Pädagogik/Psychologie (z. B. amtlich anerkannte Sachverständige oder Prüfer für den Kraftfahrzeugverkehr (aaSoP), Verkehrspsychologinnen und Verkehrspsychologen, Fahrlehrerinnen und Fahrlehrer, Trainerinnen und Trainer der Sicherheitstrainings bzw. Eco Safety Trainings etc.) mit einer entsprechenden Weiterbildung zur Rückmeldefahrt.

Eine freiwillige Teilnahme an der Rückmeldefahrt ist aus Akzeptanzgründen zu bevorzugen. Sofern die Zielgruppe dadurch nicht zufriedenstellend erreicht wird, ist über weiterführende Zugänge nachzudenken. Diese könnten derart gestaltet sein, dass ältere Pkw-Fahrerinnen und Pkw-Fahrer einen Nachweis über die Teilnahme an einer Rückmeldefahrt vorlegen müssen, ohne jedoch das Ergebnis oder die Empfehlungen offen legen zu müssen.

Fahrtrainings

Wissenschaftlich fundierte Fahrtrainings können grundsätzlich zum Erhalt und zur Verbesserung der Fahrkompetenz beitragen. In einer Studie17 konnte die Fahrkompetenz über 70-jähriger Pkw-Fahrerinnen und Pkw-Fahrer im Realverkehr durch ein professionelles Fahrtraining schwieriger Fahraufgaben (insbesondere Fahrstreifenwechsel, Linksabbiegen und Befahren komplexer Kreuzungen) in 15 Fahrstunden signifikant erhöht werden.

Nach dem Training erreichten die älteren Pkw-Fahrerinnen und Pkw-Fahrer das Leistungsniveau, welches die Kontrollgruppe von Pkw-Fahrerinnen und Pkw-Fahrern mittleren Alters (40 bis 50 Jahre alt) auf der Referenzstrecke zeigten. Wissenschaftlich fundierte Fahrtrainings dieser Art sind jedoch sehr aufwendig und eher kostenintensiv. In der Praxis würden solche Fahrtrainings möglicherweise nur von sehr wenigen Pkw-Fahrerinnen und Pkw-Fahrern in Anspruch genommen werden.

Verpflichtende (anlasslose) Fahreignungstests

Mithilfe von verpflichtenden Fahreignungstests für alle älteren Pkw-Fahrerinnen und Pkw-Fahrer ab einem gewissen Alter sollen diejenigen Pkw-Fahrerinnen und Pkw-Fahrer identifiziert werden, die die Mindestanforderungen an die physische und psychische Leistungsfähigkeit nicht mehr erfüllen. Als Konsequenz bekommen diese Pkw-Fahrerinnen und Pkw-Fahrer ihre Fahrerlaubnis entzogen. In mehreren europäischen Ländern gibt es bereits solche verpflichtenden Untersuchungen zumeist ab 70 Jahre. Die dafür eingesetzten Methoden variieren sehr stark von Selbstauskünften und hausärztlichen Attesten über fachärztliche Untersuchungen bis hin zu (neuro-)psychologischen Tests (sehr selten). Fahrproben werden nur bei unklarem Ergebnis der übrigen Untersuchungen angeordnet.18

Studien, die die Wirksamkeit der verpflichtenden Fahreignungsuntersuchungen evaluieren, vergleichen in der Regel die Unfallraten von älteren Pkw-Fahrerinnen und Pkw-Fahrern vor und nach einer Einführung/Veränderungen der Fahreignungstests. Oder sie vergleichen die Unfallraten älterer Fahrerinnen und Fahrer verschiedener Länder mit vs. ohne Fahreignungstests. Zusätzlich werden inzwischen auch die Unfallraten älterer Radfahrerinnen und Radfahrer bzw. zu Fuß Gehender als alternative Mobilitätsformen zum Pkw in die Analysen einbezogen.

Wissenschaftliche Untersuchungen zur Effektivität verschiedener Eignungsüberprüfungsprozeduren liefern keine eindeutigen Belege für eine Verbesserung der allgemeinen Verkehrssicherheit und die der betroffenen Seniorinnen und Senioren durch solche Eignungsprüfungen. Teilweise wurde sogar eine Zunahme der älteren Verunfallten bei ungeschützter Verkehrsteilnahme beobachtet.19,20

Bei diagnostischen Testverfahren besteht immer ein Zielkonflikt. Einerseits sollen nicht-geeignete Fahrerinnen und Fahrer durch den Test korrekt identifiziert werden (Testsensitivität). Andererseits sollen geeignete Fahrerinnen und Fahrer korrekt zurückgewiesen werden (Testspezifität). Tests so zu gestalten, dass sie beide Ziele erreichen, ist nicht möglich. Möchte man möglichst viele Fahrerinnen und Fahrern identifizieren, die nicht mehr zum Führen eines Kraftfahrzeugs geeignet sind, führt das dazu, dass man auch einen erheblichen Anteil an Fahrerinnen und Fahrer fälschlicherweise als nicht-geeignet klassifiziert.21 Diesen wird ihre Fahrerlaubnis entzogen und sie sind daraufhin oft auch als nicht-motorisierte Verkehrsteilnehmerinnen und -nehmer unterwegs mit dem entsprechenden höheren Unfallrisiko.

Altersbezogene Screenings können bei Seniorinnen und Senioren auch zu Versagensängsten führen, welche zu einer verfrühten Abgabe der Fahrerlaubnis und zu einem Verlust an Mobilität führen können.22

Gez.
Manfred Wirsch
Präsident


1 Schubert, K., Gräcmann, N. & Bartmann, A. (2018). Demografischer Wandel – Kenntnisstand und Maßnahmenempfehlungen zur Sicherung der Mobilität älterer Verkehrsteilnehmer. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Mensch und Sicherheit, Heft M283, Fachverlag NW, Bremen.
2 Unfallforschung der Versicherer (UDV) (2019). Rückmeldefahrt für Senioren. Unfallforschung kompakt Nr. 93. Unfallforschung der Versicherer (UDV) im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV)
3 Bredow, B. & Sturzbecher, D. (2016). Ansätze zur Optimierung der Fahrschulausbildung in Deutschland. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Mensch und Sicherheit, Heft M269, Fachverlag NW, Bremen.
4 Wagner, T., Müller, D., Koehl, F. & Rebler, A. (2019). Fahreignungszweifel bei Verkehrsdelinquenz, Aggressionspotenzial und Straftaten. Bonn, Kirschbaum Verlag.
5 Statistisches Bundesamt (2022). Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Bevölkerungsfortschreibung auf Grundlage des Zensus 2011. Wiesbaden. Statistisches Bundesamt (Destatis).
6 Statistisches Bundesamt (2022). Verkehr – Verkehrsunfälle 2021 Fachserie 8 Reihe 7. Wiesbaden. Statistisches Bundesamt (Destatis).
7 Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) (2019). MiD (2017) – Mobilität in Deutschland 2017, SPSS Datensatz der Studie Mobilität in Deutschland 2017, Berlin.
8 Statistisches Bundesamt [Destatis] (2023). Verkehrsunfälle – Unfälle von Seniorinnen und Senioren im Straßenverkehr 2021. Wiesbaden. Statistisches Bundesamt (Destatis).
9 Unfallforschung der Versicherer (UDV) (2019). Rückmeldefahrt für Senioren. Unfallforschung kompakt Nr. 93. Unfallforschung der Versicherer (UDV) im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV)
10 Schubert, K., Gräcmann, N. & Bartmann, A. (2018). Demografischer Wandel – Kenntnisstand und Maßnahmenempfehlungen zur Sicherung der Mobilität älterer Verkehrsteilnehmer. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Mensch und Sicherheit, Heft M283, Fachverlag NW, Bremen.
11 Richter, J., Schlag, B. & Weller, G. (2011); Selbstbild und Fremdbild älterer Autofahrer. ZVS, 57(1), S. 13.
12 Schlueter et al. (2023). Overestimation of on-road driving performance is associated with reduced driving safety in older drivers. Accident Analysis & Prevention, Vol 187
13 Schleinitz, K., Rößger, L. & Berthold, J. (2020). Fahrkompetenz-Rückmeldefahrt für ältere Pkw-Fahrer. Entwicklung und Erprobung. Dresden: TÜV | DEKRA arge tp 21.
14 Schlag, B., Zwicker, L. & Gehlert, T. (2019). Entwicklung und Evaluation einer Rückmeldefahrt für ältere Pkw-Fahrer. Forschungsbericht Nr. 61. Berlin: Unfallforschung der Versicherer.
15 Fastenmeier, W., Plewka, M., Gstalter, H., Gaster, K. & Gehlert, T. (2023). Weiterentwicklung und Evaluation einer Rückmeldefahrt für Senior:innen. Forschungsbericht Nr. 84. Berlin: Unfallforschung der Versicherer.
16 Schleinitz, K., Rößger, L. & Berthold, J. (2020). Fahrkompetenz-Rückmeldefahrt für ältere Pkw-Fahrer. Entwicklung und Erprobung. Dresden: TÜV | DEKRA arge tp 21.
17 Poschadel, S., Bönke, D., Blöbaum, A. & Rabczinski, S. (2012). Ältere Autofahrer: Erhalt, Verbesserung und Verlängerung der Fahrkompetenz durch Training. Eine Evaluation im Realverkehr. Köln: TÜV Media.
18 Fastenmeier, W. & Gstalter, H. (2015): Fahreignung älterer Kraftfahrer im internationalen Vergleich. Forschungsbericht Nr. 25. Berlin: Unfallforschung der Versicherer.
19 Siren A., & Meng A. (2012). Cognitive screening of older drivers does not produce safety benefits. Accid Anal Prev., 45:634–8.
20 Ichikawa, M., Inada, H., & Nakahara, S. (2020). Increased traffic injuries among older unprotected road users following the introduction of an age-based cognitive test to the driver’s license renewal procedure in Japan. Accid Anal Prev., 136, 105440.
21 Fastenmeier, W., Gstalter, H. & Gehlert, T. (2014). Older drivers: Possibilities and limits of screening. European Interdisciplinary Conference „Ageing and Safe Mobility“, 27./28.11.2014, Bergisch-Gladbach.
22 Fastenmeier, W. & Gstalter, H. (2015): Fahreignung älterer Kraftfahrer im internationalen Vergleich. Forschungsbericht Nr. 25. Berlin: Unfallforschung der Versicherer