Beschluss

Freigabe von Verkehrsflächen für S-Pedelecs

S-Pedelecs brauchen eine Betriebserlaubnis und ein Versicherungskennzeichen und dürfen keine Radinfrastruktur nutzen, es sei denn dies ist ausnahmsweise durch die entsprechenden Behörden erlaubt und ausgewiesen. Der DVR hat einige Forderungen, die die Freigabe von Radverkehrsflächen für S-Pedelecs betreffen.
17.10.2024
0

Hinzugefügt zu deinem Warenkorb

Beschluss

Freigabe von Verkehrsflächen für S-Pedelecs

S-Pedelecs brauchen eine Betriebserlaubnis und ein Versicherungskennzeichen und dürfen keine Radinfrastruktur nutzen, es sei denn dies ist ausnahmsweise durch die entsprechenden Behörden erlaubt und ausgewiesen. Der DVR hat einige Forderungen, die die Freigabe von Radverkehrsflächen für S-Pedelecs betreffen.

  • Vorschaubild der PDF-Datei Beschluss: Freigabe von Verkehrsflächen für S-Pedelecs

    Beschluss: Freigabe von Verkehrsflächen für S-Pedelecs

    PDF 17.10.2024

Einführung


In Deutschland sind immer mehr Fahrräder mit elektrischer Tretunterstützung unterwegs. Die meisten dieser Räder fallen in die Kategorie „Pedelec“ mit einer Tretunterstützung bis zur Geschwindigkeit von 25 km/h. Diese Pedelecs sind in Deutschland den Fahrrädern gleichgestellt. Neben den Pedelecs gibt es aber auch sehr ähnliche Fahrzeuge, die allerdings eine Tretunterstützung bis 45 km/h erlauben, sogenannte „S-Pedelecs“. Diese Fahrzeuge sind Kleinkrafträder. Fahrende müssen in Deutschland mindestens 15 Jahre alt sein, einen geeigneten Helm tragen und benötigten mindestens eine Fahrerlaubnis der Klasse AM. Zudem benötigen S-Pedelecs eine Betriebserlaubnis und ein Versicherungskennzeichen. S-Pedelecs dürfen keine Radinfrastruktur nutzen, es sei denn dies ist ausnahmsweise durch die entsprechenden Behörden erlaubt und ausgewiesen. Es gibt allerdings im Verkehrszeichenkatalog bislang kein Zusatzzeichen, das ausschließlich S-Pedelecs die Nutzung bestimmter Verkehrsflächen erlaubt.
S-Pedelecs haben bislang nur einen kleinen Marktanteil. Das mag nicht zuletzt daran liegen, dass ihre Nutzung in Deutschland bisher auf Radverkehrsanlagen ohne explizite Freigabe nicht gestattet ist. Unterschiedliche Akteure gehen davon aus, dass das S-Pedelec ein großes Potenzial als umweltfreundliche Alternative zum Pkw hat, gerade auch für längere Strecken über 10 km, und sehen in S-Pedelecs einen sinnvollen Beitrag zur Verkehrswende. Sie fordern deshalb, ausgewählte Radverkehrsanlagen für S-Pedelecs freizugeben. In Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen wurden die rechtlichen Grundlagen dafür bereits geschaffen.
Die Freigabe von Radverkehrsanlagen für S-Pedelecs könnte jedoch zu deutlich mehr S-Pedelec-Verkehr und dadurch zu mehr Konflikten führen. Aufgrund der höheren Geschwindigkeit von S-Pedelecs könnte es auch zu schwereren Unfällen kommen. Zudem könnte die höhere Differenzgeschwindigkeit zu subjektiver Unsicherheit bei Radfahrenden und zu Fuß Gehenden beitragen.
In der Unfallstatistik werden S-Pedelecs, Pedelecs und Fahrräder separat erfasst. 2022 waren bundesweit 310 S-Pedelec-Fahrende an Unfällen mit Personenschaden beteiligt, 24.004 Pedelec-Nutzende und 82.453 Personen auf einem Fahrrad1.
Während es deutliche Unterschiede im Unfallgeschehen zwischen konventionellen Fahrrädern und Pedelecs gibt, sind die Unfälle von Pedelecs und S-Pedelecs hinsichtlich ihrer Unfallstruktur (Unfallkategorie, Unfalltyp, Unfallursachen, Charakteristik und Besonderheit der Unfallstelle) nahezu identisch2. S-Pedelec-Nutzende sind jedoch in der Regel jünger als Pedelec-Fahrende. S-Pedelecs werden im Schnitt auch schneller gefahren als Pedelecs3. Aufgrund der bisher kleinen Fallzahlen mit S-Pedelec-Unfällen sind vertiefende Untersuchungen und Aussagen noch nicht möglich.
Für die Freigabe von Verkehrsflächen für S-Pedelecs sind bundesweit einheitliche Voraussetzungen zu schaffen. Die Belange von zu Fuß Gehenden und Radfahrenden sind dabei zu berücksichtigen.


Empfehlungen / Forderungen


Vor diesem Hintergrund empfiehlt / fordert der DVR:
  1. Die Einordnung von S-Pedelecs als Kraftfahrzeuge soll beibehalten werden.

     

  2. Die Einführung eines allgemeinen und eindeutigen Zusatzzeichens soll vorgenommen werden, um Flächen des Radverkehrs für S-Pedelecs freigeben oder sperren zu können.

     

  3. Der Bund wird aufgefordert, folgende einheitliche Kriterien für die Freigabe von Flächen für S-Pedelecs festzulegen, um länderspezifische Unterschiede zu vermeiden:

    a. Die Freigabe von Fußgängerzonen (Zeichen 242) und Gehwegen (Zeichen 239) für S-Pedelecs ist grundsätzlich auszuschließen.
    b. Gemeinsame und getrennte Geh-/Radwege (Zeichen 240 und 241) sollen innerorts für S-Pedelecs grundsätzlich nicht freigegeben werden, außerorts im Einzelfall nur nach vorheriger Prüfung.
    c. Selbstständig geführte Radwege sollten im Einzelfall nach vorheriger Prüfung für S-Pedelecs freigegeben werden können, ebenso Fahrradstraßen und Fahrradzonen, die nicht für Kfz-Verkehr freigegeben sind.
    d. Radfahrstreifen, Schutzstreifen und für Radverkehr freigegebene Bussonderfahrstreifen (Zeichen 245) sollten generell für S-Pedelecs freigegeben werden.
    e. Landwirtschaftliche Wege, die für den Radverkehr freigegeben sind, sollten generell auch für S-Pedelecs freigegeben werden. Waldwege sollten hingegen nicht generell für S-Pedelecs freigegeben werden.

     

  4. Die Freigabe von Radverkehrsflächen für S-Pedelecs sollte von Öffentlichkeitsarbeit auf nationaler und örtlicher Ebene begleitet werden, um über die Neuregelung sowie über Rechte und Pflichten von Verkehrsteilnehmenden bezüglich ihres Verhaltens auf den gemeinsamen Flächen aufzuklären.

     

  5. Die Auswirkungen der Freigabe von Radverkehrsflächen für S-Pedelecs auf das Unfallgeschehen und die subjektive Sicherheit sind durch die örtlichen Behörden zu evaluieren.

     

  6. Die Einhaltung der neuen Vorschriften ist von Beginn an zu überwachen. Fehlverhalten, insbesondere die unzulässige Nutzung von Rad- und Gehwegen durch S-Pedelec-Nutzende, ist konsequent zu ahnden.


Erläuterungen

 

Zu 1.
S-Pedelecs gehören EU-weit üblicherweise der Fahrzeugkategorie L1 e-B an. Diese Einordnung sollte aufgrund der Tretunterstützung bis 45 km/h sowie der mit der Einstufung verbundenen Pflichten beibehalten werden. Dazu gehört die Pflicht zum Tragen eines Helms und eine erforderliche Fahrerlaubnis der Klasse AM. Für das Fahrzeug ist eine allgemeine Betriebserlaubnis erforderlich und es besteht eine Versicherungs- und Kennzeichenpflicht.


Zu 2.
Ein spezielles Zusatzzeichen, mit dem Radwege bzw. andere öffentliche Verkehrsflächen für S-Pedelecs freigegeben werden können, existiert bislang weder in der Straßenverkehrsordnung (StVO) noch im Katalog der Verkehrszeichen (VZKat). Es gibt jedoch einige Zusatzzeichen, die Kleikrafträdern die Nutzung weiterer Wege ermöglichen. Das Zusatzzeichen 1022-12 beinhaltet S-Pedelecs. Alle anderen Zusatzzeichen beinhalten S-Pedelecs nicht (1022-11 „Mofas frei“; 1010-13 „E-Bikes frei“, 1022-14 „Radverkehr und Mofas frei“ und 1022-15 „E-Bikes und Mofas frei“).
Da sich S-Pedelecs und andere Kleinkrafträder ohne Tretunterstützung allerdings deutlich unterscheiden, ist ein eigenes Verkehrszeichen für S-Pedelecs erforderlich. Auf Grundlage der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur StVO (VwV-StVO) können auch nicht in der StVO vorgesehene Zusatzzeichen mit Zustimmung der zuständigen obersten Landesbehörde angebracht werden. Davon haben Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen auf der Grundlage von Landeserlassen Gebrauch gemacht. Da jedoch eine bundesweit einheitliche Regelung zur Nutzung von S-Pedelecs erstrebenswert ist, bedarf es der Aufnahme eines eigenen Zusatzzeichens in die StVO bzw. den VZKat.


Zu 3.
Wie unter Punkt 2 bereits erwähnt, ist es durch die entsprechenden Landeserlasse in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen möglich, dass Kommunen ausgewählte Radverkehrsanlagen für S-Pedelecs freigeben. In Hessen ist kürzlich ein Verkehrsversuch gestartet. Damit kein Stückwerk mit unterschiedlichen Regelungen in den Bundesländern entsteht, ist die Definition bundesweit einheitlicher Kriterien zur Freigabe von Flächen des Radverkehrs für S-Pedelecs erforderlich – insbesondere unter der Berücksichtigung, dass viele Wege sowohl im Freizeit- als auch im Alltagsverkehr über Ländergrenzen führen. Dazu werden im Folgenden (3a bis 3d) konkrete Vorschläge gemacht.


Zu 3a.
Da es sich bei S-Pedelecs um Kraftfahrzeuge handelt, sollte es zu keiner Vermischung mit dem Fußverkehr kommen. Die Freigabe von Fußgängerzonen (Zeichen 242) und Gehwegen (Zeichen 239) für S-Pedelecs ist deshalb grundsätzlich auszuschließen. Ausgenommen davon sind gewerblich genutzte S-Pedelecs, die zum Liefern und Laden die Fußgängerzonen in den gleichen dafür vorgegebenen Zeiträumen befahren dürfen wie andere Kfz.


Zu 3b.
Um Konflikte zwischen Fußgängern und S-Pedelecs auf begrenztem Raum zu verringern, sollten gemeinsame und getrennte Geh-/Radwege (Zeichen 240 und 241) innerorts nicht für S-Pedelecs freigegeben werden können. Außerorts kann die Freigabe im Einzelfall nach Prüfung der örtlichen Gegebenheiten ermöglicht werden. Dabei sind das Verkehrsaufkommen und die besonderen Nutzungsarten wie z.B. Schulwege zu beachten.


Zu 3b. und 3c.
Die Einzelfallprüfung zur Freigabe von Radverkehrsflächen für S-Pedelecs sollte sich orientieren an:
 

  • zulässige Höchstgeschwindigkeit auf Fahrbahnen von mehr als 50 km/h
  • hohes Kraftfahrzeugaufkommen bzw. hoher Schwerverkehrsanteil
  • ausreichende Breite der Radverkehrsanlage, um auch Überholvorgänge gefahrlos zu ermöglichen (ERA-Standard)
  • Netzbedeutung der Radverkehrsanlage
  • Trassierung und Sichtverhältnisse
  • geringes Fußverkehrsaufkommen
  • keine Unfallauffälligkeit in Bezug auf Radverkehr.


Zu 3d.
Bestimmte Infrastrukturen (Radfahrstreifen, Schutzstreifen und für Radverkehr freigegebene Bussonderfahrstreifen) eignen sich aufgrund ihres Platzangebotes und der Trennung zum Fußverkehr zur generellen Freigabe für S-Pedelecs.


Zu 3e.
Hier wird bewusst zwischen Wirtschaftswegen in der freien Landschaft und Wegen im Wald unterschieden. Die Freigabe von Wirtschaftswegen (die dem landwirtschaftlichen Verkehr mit bis zu 3 m breiten Geräten dienen) erscheint unproblematisch.
Wege im Wald eignen sich aber wegen unterschiedlichster Qualität und Breite nicht für eine pauschale Freigabe für S-Pedelecs. Die Waldgesetze der Länder weisen im Detail Unterschiede auf, aber in zwei Punkten stimmen alle mit dem Bundeswaldgesetz überein: Verkehr mit Kraftfahrzeugen ist im Wald auf die Forstwirtschaft beschränkt, mit einer Ausnahme für Krankenfahrstühle, und das Recht zum Befahren von Waldwegen mit dem Fahrrad dient der Erholung. Die Funktion des S-Pedelecs als Verkehrsmittel für den Weg zur Arbeit widerspricht diesen rechtlichen Vorgaben. Sie sollten nicht gelockert werden, weil Waldwege zugleich immer auch Geh- und Wanderwege sind. Bestehende Interessenkonflikte zwischen zu Fuß gehenden und Rad fahrenden Erholungssuchenden würden durch eine Ausweitung verschärft.


Zu 4.
Einerseits sollte der Bund Aufklärungsarbeit leisten, um über die Schaffung der Grundlage zur Freigabe von Radverkehrsflächen für S-Pedelecs aufzuklären. Dazu gehört die Information über die gewählten Verkehrszeichen, Verhaltensregeln und auf welche Fahrzeuge sie sich beziehen. Andererseits sollten die Verkehrsteilnehmenden vor Ort darüber informiert werden, wenn von einer neuen Möglichkeit Gebrauch gemacht wird, Radverkehrsflächen für S-Pedelecs freizugeben.
Des Weiteren sollten auch die aktuellen Konflikte zwischen S-Pedelec- und Kfz-Nutzenden betrachtet werden, denn S-Pedelecs sehen Pedelecs und anderen Fahrrädern auf den ersten Blick ähnlich. Das ist für Kfz-Fahrende ein Anlass, in Unkenntnis der Verkehrsregeln S-Pedelec-Nutzende zu maßregeln, die anstatt des Radwegs die aus ihrer Sicht ausschließlich den Kfz-Nutzenden zustehende Fahrbahn befahren. So kommt es dazu, dass diese zu eng überholt oder angehupt werden. Das führt zu gefährlichen und unangenehmen Situationen für S-Pedelec-Fahrende, so dass sie auf vielen Außerortsstraßen mit straßenbegleitenden Radwegen die Nutzung geeigneter Radverkehrsanlagen als verkehrssicherere Lösung für sich wählen.


Zu 5.
Die Auswirkungen der Freigabe von Radverkehrsflächen für S-Pedelecs auf das Unfallgeschehen und die subjektive Sicherheit sind zu evaluieren, um festzustellen, ob ein erhöhtes Unfallgeschehen aus der Freigabe der Radverkehrsanlagen für S-Pedelecs resultiert und um ggf. nachsteuern zu können.


Gez.
Manfred Wirsch
Präsident


1 Destatis Verkehrsunfälle 2022, Tabelle 3.2
2 Auswertung polizeilicher Unfalldaten aus 12 Bundesländern der Jahre 2020-2022, 662 S-Pedelec-Unfälle,
42.032 Pedelec-Unfälle und 172.168 Fahrradunfälle mit Personenschaden – eigene Auswertung durch UDV
3 Naturalistic Cycling Study, Unfallforschung der Versicherer, 2014