Stellen Sie sich einmal vor, Sie würden in unmittelbarer Nähe zu Ihrer Arbeitsstelle wahllos einen Passanten in Ihrem Alter ansprechen und ihn bitten, sich an Ihren Arbeitsplatz zu begeben und ihre Arbeit zu erledigen. Schnell wird deutlich, dass das nicht funktionieren wird, da dieser Jemand weder Ihr Können noch Ihre Erfahrung besitzt, um Ihre Tätigkeit auszuüben. Die Tätigkeit ist folglich zu komplex, als dass sie jemand aus dem Stand heraus erledigen könnte.
Nun stellen Sie sich bitte einmal vor, Sie würden wiederum per Zufall einen gleichaltrigen Passanten auswählen und ihn bitten, mit Ihrem Auto zu fahren. Schnell wird deutlich, dass dieses Unterfangen funktionieren wird. Denn Autofahren kann annähernd jeder. So ist die Schlussfolgerung nicht fern, dass Autofahren eine leichte Tätigkeit sein muss, da sie fast jeder beherrscht.
Im Laufe der Fahrerkarriere verfestigt sich diese Überzeugung. Erlebte kritische Situationen wurden gemeistert, ein schwerer Unfall wird meistens nicht selbst erlebt, denn Unfälle passieren in der Regel den anderen. Für den einzelnen Autofahrer ist Autofahren somit nicht nur leicht, sondern auch kaum gefährlich. Die Konzentration auf die Tätigkeit Autofahren, wie man sie nach dem Erwerb der Fahrerlaubnis zweifelsohne noch aufbringen musste, lässt langsam nach und wird von vielen kleinen Nebentätigkeiten wie telefonieren, essen, trinken oder rauchen während des Fahrens abgelöst. Man hat alles im Griff. Autofahren wird zur Routine. Man macht sich über das Autofahren genauso wenig Gedanken wie über das morgendliche Zähneputzen.
Viele Handlungen führen darüber hinaus zum Erfolg und enden in der Regel nicht in einem Unfall. Augen fallen vor Müdigkeit nach einer längeren Fahrt zu. Man wacht auf und kann das Fahrzeug gerade noch in der Spur halten. Eine kribbelnde Nase und tränende Augen aufgrund einer Erkältung führen während der Fahrt zu einer eingeschränkten Sicht. Den querenden Radfahrer hat man gerade noch rechtzeitig erkannt und kann mit einer starken Bremsung Schlimmeres verhindern. Das Schlafmittel am Abend führte zu einem vermeintlich erholsamen Schlaf. Auf dem Weg zur Arbeit wirkt es allerdings noch nach und man verliert für einen Augenblick die Übersicht. Man biegt trotz Gegenverkehr links ab. Das entgegenkommende Fahrzeug bremst zur rechten Zeit, ohne dass man es mitbekommen hat.
„Ich fahre schon 20 Jahre unfallfrei. Deshalb bin ich ein guter Autofahrer. Es ist noch nie irgendetwas Schlimmeres passiert“. Diese Aussagen hört man häufig. Allerdings ist dies ein Trugschluss. Unfallfreies Fahren ist noch lange kein Beleg für fahrerische Kompetenz. Wie häufig haben die anderen mitgedacht, ohne dass man es gemerkt hat? Wie oft hat man Glück gehabt und es fehlte nur ein winziger Meter zur Katastrophe?
Medikamenteneinfluss auf das Fahrverhalten
Niemand ist gerne krank oder hat gerne Schmerzen. Medikamente sind wichtig, um Krankheiten zu heilen und Schmerzen zu lindern. In vielen Fällen sind Arzneimittel lebensnotwendig oder sogar überlebensnotwendig.
Wer schwer krank ist oder unter Medikamenten steht, die ihn stark beeinflussen (z. B. nach einer Narkose beim Kieferchirurgen) wird im Regelfall auch nicht Auto fahren. Aber abgesehen von diesen Extremsituationen gibt es einen großen „Graubereich“, in dem der Einfluss von Erkrankungen und Medikamenten im Straßenverkehr nicht beachtet, unterschätzt oder sogar billigend in Kauf genommen wird. Denn bislang ist immer alles gut gegangen.
Bei einer Erkrankung macht man sich eher Gedanken darüber, wie die Arbeit verrichtet, die vielen Termine eingehalten oder wie die dringend notwendige Gartenarbeit erledigt werden kann. Wie häufig wird aber die Frage gestellt: „Schaffe ich es überhaupt, sicher mit meinem Auto zu meiner Arbeitsstelle kommen?“. Oder: „Ist es für mich oder andere gefährlich, wenn ich mich heute in den Pkw setze, sollte ich nicht lieber einen Bus oder ein Taxi nehmen?
Fachleute gehen davon aus, dass sich von den in Deutschland rund 104.000 im Handel befindlichen Arzneimittel rund 2.800 dieser Präparate (fünf Prozent) negativ auf die Fahrtüchtigkeit auswirken können. Einen besonders riskanten Einfluss haben Schlafmittel, Beruhigungsmittel und Schmerzmittel. Aber auch andere Medikamente, z. B. gegen Allergien, Bluthochdruck, Herzmittel (Koronarmittel) oder Magen-Darm-Erkrankungen, sowie Erkältungsmittel oder Psychopharmaka können Wirkstoffe enthalten, die die Fahrtüchtigkeit negativ beeinflussen. Viele dieser Wirkstoffe machen müde. Es kommt zu einer psychophysiologischen Verlangsamung. Umweltreize werden dann nicht mehr rechtzeitig wahrgenommen und erkannt und/oder eine adäquate Reaktion erfolgt verzögert oder zu spät. Weitere für die Teilnahme am Straßenverkehr bedeutsame Auswirkungen können beispielsweise Schwindel, Übelkeit, Sehstörungen, Unruhe, starkes Schwitzen, Konzentrationsschwäche oder starke Blutdruckschwankungen sein. Es ist zusätzlich zu bedenken, dass grundsätzlich jedes Medikament zu allergischen Reaktionen führen kann.
Nicht nur verschreibungspflichtige Medikamente, sondern auch freiverkäufliche Arzneimittel können zum Risikofaktor beim Fahren werden. Dies gilt besonders für Schmerz- und Erkältungsmittel. Sogenannte Kombinationspräparate, welche auch stimulierende Substanzen (z. B. Koffein) enthalten, führen kurzfristig zu einer subjektiv empfundenen Verbesserung der Symptome. Man fühlt sich fahrtüchtig. Allerdings kann dies auch bedeuten, dass man euphorisiert kurzfristig Gefahren im Straßenverkehr unterschätzt. Lässt die Wirkung des Medikamentes hingegen nach, kommt es häufig zu einer Ermüdung. Diese kann dann die Reaktionsfähigkeit deutlich verlangsamen. Ähnliches gilt für Arzneimittel, die Alkohol enthalten.
Die aufgezeigten Auswirkungen würden im normalen Alltag (im Büro, bei der Küchenarbeit) gar nicht oder kaum spürbar behindern. Beim Autofahren können die Folgen jedoch fatal sein. Es besteht immer das Risiko, uns selbst und andere schwer zu verletzen oder gar zu töten.
Darüber hinaus drohen beim Begehen einer Ordnungswidrigkeit oder einer Straftat Geldbußen bis hin zu einer Gefängnisstrafe. Bei einem Unfall besteht das Risiko, den Versicherungsschutz zu verlieren. Im schlimmsten Fall wird die Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeuges angezweifelt und eine Fahreignungsbegutachtung angeordnet.
Die Ursachen dafür, dass der Einfluss von Erkrankungen und/oder Medikamenteneinfluss im Straßenverkehr häufig unterschätzt wird, liegen an vielen Faktoren:
- Wie häufig wird in den Medien der Einfluss von Medikamenten als Unfallursache erwähnt?
- Wie häufig weisen Ärzte oder Apotheker drauf hin, dass die Verkehrstüchtigkeit eventuell beeinträchtigt ist?
- Wem sind die rechtliche Folgen bei einem Unfall unter Medikamenteneinfluss bekannt?
- Wie häufig werden die Hinweise in den Beipackzetteln beachtet?
Tipps zum Thema Medikamente und Fahren
- Nehmen Sie die Fahrtätigkeit als komplexe und anspruchsvolle Tätigkeit ernst.
- Nehmen Sie den Umgang mit Medikamenten und mögliche Nebenwirkungen oder Wechselwirkungen ernst.
- Entscheiden Sie sich kompetent, gut informiert und vor allem bewusst für oder gegen die Teilnahme am Straßenverkehr unter Medikamenteneinfluss.
- Nehmen Sie die Hinweise vom Arzt oder im Beipackzettel auf eine eingeschränkte Verkehrstüchtigkeit ernst.
- Lassen Sie Ihren Wagen stehen und steigen Sie auf öffentliche Verkehrsmittel oder Taxi um. Eventuell können Sie sich ja auch fahren lassen.
- Hören Sie bewusst auf ihren Körper! Fahren Sie nur, wenn Sie sich absolut fit fühlen.
- Seien Sie vorsichtig bei einer augenärztlichen Untersuchung mittels Augentropfen.
- Klären Sie eventuell im Vorfeld ab, ob die Untersuchung Auswirkungen auf Ihre Fahrtüchtigkeit hat. Lassen Sie sich eventuell zum Augenarzt fahren oder nehmen Sie den ÖNV.
- Auf jeden Fall sollten Sie solange warten, bis die Wirkung der Augentropfen nachgelassen hat.
- Seien Sie vorsichtig bei einer lokalen Betäubung bei einem Zahnarzt. Sie kennen ihren Körper am besten und wissen, wie er die letzten Male auf eine lokale Betäubung reagiert hat.
- Klären Sie eventuell im Vorfeld ab, ob die Untersuchung/der Eingriff Auswirkungen auf Ihre Fahrtüchtigkeit hat. Lassen Sie sich eventuell zum Zahnarzt fahren oder nehmen Sie den ÖPNV.
- Seien Sie vorsichtig bei Infusionen, Impfungen oder Narkosen, die Sie von der Ärztin erhalten.
- Erkundigen Sie sich im Vorfeld über die möglichen Auswirkungen auf die Fahrtüchtigkeit. Lassen Sie sich gegebenenfalls zum Termin bringen oder nehmen Sie den ÖPNV.
- Bedenken Sie, dass bestimmte Eingriffe/Untersuchungen für den Körper/die Psyche so anstrengend sind, dass man anschließend nicht sofort fahrtüchtig ist.
Speziell für Berufsfahrende
- Sie sind der Profi auf der Straße (nicht Ihr Chef und nicht der Disponent...)
- Wenn Sie Medikamente einnehmen müssen, welche die Fahrtüchtigkeit einschränken oder Sie Nebenwirkungen verspüren, sprechen Sie mit Ihrer Ärztin. Lassen Sie sich krankschreiben. Fahren Sie erst, wenn Sie das Medikament abgesetzt haben.
- Fahren Sie gegebenenfalls erst wieder, wenn Ihr Körper sich auf das Medikament eingestellt hat.
- Aber Achtung, es ist Vorsicht geboten, denn Gefühle können täuschen!
Selbstaufmerksamkeit
Wer sich selbst viel wert ist, achtet im alltäglichen Verhalten darauf, was einem guttut und was nicht. Man wird aufmerksam und selbstkritisch sein im Umgang mit sich selbst, mit anderen Menschen und mit der Umwelt. Man wird registrieren, wenn man sich körperlich oder psychisch nicht gut fühlt. Man wird sein Verhalten so ausrichten, dass man sich selbst und andere nicht schadet.
Schlechtes körperliches und / oder psychisches Befinden aufgrund von Erkrankungen, Medikamenteneinfluss oder auch psychischen Belastungen (z. B. Zeitnot, berufliche Anforderungen), kann auch in weniger gravierender Ausprägung eine Gefährdung darstellen.
Heutzutage ist es im alltäglichen Leben leider wenig üblich, aufmerksam gegenüber dem eigenen Befinden zu sein. Dies gilt besonders für kleinere Befindlichkeitsschwankungen. Mögliche unangenehme Gefühle oder Alarmsignale des Körpers werden ignoriert oder auch bewusst (beispielsweise mittels Medikamenten oder Alkohol) „weggeschoben“.
Um sich selbst und andere Verkehrsteilnehmer nicht zu gefährden ist es wichtig, sehr aufmerksam und kritisch die eigene Befindlichkeit vor und während der Autofahrt wahrzunehmen.
Tipps zur Aufmerksamkeit bezüglich der eigenen Person:
- Versuchen Sie sich in ihren körperlichen und seelischen Befindlichkeiten bei Routinetätigkeiten (besonders vor und während der Fahrtätigkeit) im Alltag, wieder bewusst wahrzunehmen
- Lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit vermehrt darauf, was Ihnen guttut
- Schmerzen (keine chronischen) oder kleinere Infekte haben häufig auch eine körperliche Warnfunktion. Nehmen Sie diese auch als solche wahr.
- Überprüfen Sie realistisch wie wahrscheinlich es ist, dass immer nur andere Personen schwer erkranken oder verunfallen.
- Überprüfen Sie kritisch was Sie realistisch tun können, um Ihre körperliche und / oder seelische Befindlichkeit zu erhalten oder sogar zu verbessern (Sport, Ernährung, Freizeit).
- Überprüfen Sie kritisch Ihre Idealvorstellung hinsichtlich Ihrer Leistungsfähigkeit oder Ihres Aussehens.
Die kompetente Entscheidung
Oft kommt es gar nicht zu einer bewussten Entscheidung für oder gegen das Autofahren unter Medikamenteneinfluss, da man sich nach der Medikamenteneinnahme wieder besser oder sogar beschwerdefrei fühlt. Dennoch kann beispielsweise das Reaktionsvermögen beeinflusst sein. Dies fällt in der Bewältigung des normalen Alltags nicht auf, kann aber im Straßenverkehr verheerende Folgen haben.
- Um eine kompetente Entscheidung treffen zu können, ist es sehr wichtig, sich selbst wachsam zu beobachten und auf mögliche Beeinträchtigungen hin zu überprüfen!
Es kann sein, dass es nach einer Medikamenteneinnahme zu Neben- und Wechselwirkungen kommt, die bei Fahrtantritt nicht vorhanden sind oder gespürt werden (z. B. allergische Reaktion, „Hangover“).
- Um eine kompetente Entscheidung treffen zu können, ist es wichtig, sich im Vorfeld über mögliche Wirkungen, Nebenwirkungen oder Wechselwirkungen zu informieren!
Werden Sie Profi für sich selbst.
- Seien Sie sich selbst, Ihren eigenen Gefühlen, Wünschen und Fähigkeiten gegenüber wachsam! Achten Sie auf sich.
- Sammeln Sie Informationen (z. B. über ihre Erkrankung, über Medikamente).
- Versuchen Sie nichts dem Zufall zu überlassen.
- Treffen Sie Entscheidungen, auch wenn sie zunächst unbequem erscheinen.
- Machen Sie sich unabhängiger von der Meinung anderer.
- Versuchen Sie sich selbst gegenüber ehrlich zu sein. Überschätzen Sie sich nicht in Ihrer Kraft und Ihren Fähigkeiten.