Das Fahrradfahren ist eine immer beliebtere Freizeitbeschäftigung: Es dient nicht nur der Überwindung von meist kürzeren Fahrtstrecken zur Arbeit oder Ausbildungsstätte, sondern wird oft als Ersatzfahrzeug genutzt, wenn ein geselliger Abend mit Alkoholkonsum bevorsteht. „Ich fahre mit dem Rad und lasse das Auto stehen, dann kann ich trinken“, lautet die Devise. Das Fahrrad verspricht dabei grenzenlosen Alkoholkonsum. Eine genauere Betrachtung der Unfallstatistik zeigt jedoch, dass Alkohol die zweithäufigste Unfallursache bei Radfahrenden ist. Besorgniserregend ist dabei die hohe Blutalkoholkonzentration (BAK), die verunglückte Radfahrerinnen und Radfahrer aufweisen.

Von allen Beteiligten an Unfällen mit Personenschaden, die alkoholisiert unterwegs waren, machten Fahrrad Fahrende im Jahr 2021 einen Anteil von 33,3 % aus.16

80 % dieser unfallbeteiligten Radfahrerinnen und Radfahrer wiesen BAK-Werte von über 1,1 Promille auf17, dies ist für Kraftfahrzeug Fahrende die Grenze der absoluten Fahruntüchtigkeit. Bezogen auf die Altersverteilung stellten die 35- bis 44-Jährigen den höchsten Anteil, gefolgt von den 45- bis 54-Jährigen18.

Promillegrenzen für den Radverkehr

Polizist*in hält ein Messgerät zur Bestimmung des Atemalkohols in die Kamera

Vorsicht bei Alkohol gilt laut § 315 c (Gefährdung des Straßenverkehrs) und § 316 (Trunkenheit im Verkehr) des Strafgesetzbuches (StGB) für alle Personen, die ein Fahrzeug führen – somit auch für Fahrradfahrerinnen und -fahrer: Führt die Alkoholisierung ursächlich zu einem Unfall, kann es sich schon ab 0,3 Promille um einen Verstoß gegen diese Paragrafen handeln.

Unabhängig vom konkreten Verhalten, also auch ohne Ausfallerscheinungen oder Unfall, handelt es sich bei einem Blutalkoholgehalt von 1,1 Promille bei Kraftfahrenden und 1,6 Promille bei Radfahrenden um einen Verstoß gegen § 316 StGB und möglicherweise auch gegen § 315 c StGB. Dieses Delikt führt in der Regel zu einem Entzug der Fahrerlaubnis – auch wenn man mit dem Rad unterwegs ist.

Grund für den höheren Wert der „absoluten Fahruntüchtigkeit“ bei Radfahrenden ist das geringere Gefährdungspotenzial von Radfahrenden gegenüber Pkw- oder Lkw-Fahrenden. Der Wert wurde 1986 vom Bundesgerichtshof (BGH) auf 1,7 Promille festgesetzt und setzte sich aus einem Grundwert von 1,5 Promille und einem Sicherheitszuschlag für Messungenauigkeiten von 0,2 Promille zusammen. Der Grundwert wurde in den 1980er Jahren in Praxisversuchen vom Gießener Rechtsmediziner Günter Schewe ermittelt. Wegen verfeinerter Messmethoden gehen Gerichte heute von einem Grenzwert von 1,6 Promille für Radfahrende aus.

Dennoch: 1,6 Promille Blutalkoholkonzentration sind ein sehr hoher Wert. Wer nicht erheblich an Alkohol gewöhnt ist, kann bei dieser Alkoholisierung ein Fahrrad gar nicht sicher nutzen. Fahrradfahren unter Alkoholeinfluss kann also sehr wohl auch zu Führerscheinentzug führen. Weiterhin sind 2 Punkte in Flensburg, die Anordnung zu einer medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU) oder ein Fahrverbot möglich. Mit der MPU soll der Radfahrer oder die Radfahrerin nachweisen, dass das Trennvermögen von Trinken und Fahren vorhanden ist. Nach § 24 a Straßenverkehrsgesetz (StVG) gibt es für Kraftfahrende einen Ordnungswidrigkeitentatbestand bei einem Blutalkoholgehalt zwischen 0,5 und 1,1 Promille. Da hier bisher nur von Kraftfahrzeugen die Rede ist, sind Radfahrerinnen und Radfahrer von diesem Gesetz nicht erfasst – doch es gibt Ausnahmen.

Schnelle Pedelecs gelten als Kraftfahrzeuge

S-Pedelecs, die bis 45 km/h beim Pedalieren unterstützen, sind Kraftfahrzeuge. Hier greifen dieselben Promillegrenzen und Sanktionen wie für Auto-, Motorrad- oder andere Kraftfahrende.

Niedrigere Grenzwerte für Radfahrende?

Im Vordergrund ein Tisch mit einem Rotwein- und einem Weißweinglas, im Hintergrund zwei Radfahrende

Statistiken legen nahe, dass u.a. die 1998 eingeführte 0,5-Promille-Grenze für Kraftfahrende seither zu einem Rückgang der Zahl der verunglückten alkoholisierten Autofahrenden geführt hat. Dieser Rückgang war weitaus stärker als im Bereich der verunglückten alkoholisierten Radfahrenden.

Auch wenn im Schnitt nur eine/r von 23 verunglückten Radfahrenden unter Alkoholeinwirkung standen, tragen Radfahrerinnen und Radfahrer ein deutlich höheres Unfall- und Verletzungsrisiko als Autofahrende.

Experten vertreten die Meinung, dass 0,5 Promille als Gefahrengrenzwert für Radfahrende unverhältnismäßig niedrig sind, während 1,6 Promille einen Indikator für Alkoholmissbrauch darstellen. Mehr als 1,0 Promille überschreiten die Grenzen des gesellschaftlich akzeptierten Trinkens: Die Entscheidungsfähigkeit, das Trinkverhalten zu steuern oder das Fahrrad stehen zu lassen, lässt nach. Das Unfallrisiko vervielfacht sich, die Unfallfolgen sind aufgrund langsamerer Reflexe schwerer.

Eine Studie der Unfallforschung der Versicherer (UDV) dokumentierte alkoholbedingte Ausfallerscheinungen beim Radfahren. Die Probanden absolvierten einen Parcours und wurden dabei medizinisch begleitet. So war ein moderater Anstieg der Ausfälle bis 1,0 Promille zu verzeichnen. Danach nahm die Ausfallrate deutlich zu, um jenseits von 1,6 Promille steil anzusteigen.19

1,1 Promille wären somit ein klarer und eindeutiger Grenzwert für einen Ordnungswidrigkeitentatbestand, den auch der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) in einem Beschluss unterstützt.


16 Statistisches Bundesamt (2022): Fachserie 8 Reihe 7, 2021, S. 144f.
17 Ebd., S. 147
18 Ebd., S. 145
19 https://www.udv.de/udv/themen/radfahren-und-alkohol-78596