Verkehrssicherheit an Kreuzungen und Einmündungen erhöhen – Innerorts
- Fußverkehr
- Infrastruktur
Deutscher Verkehrssicherheitsrat – 2016
Vorbemerkung
Im Jahr 2015 verunglückten in Deutschland 188.567 Menschen an Kreuzungen, Einmündungen und Grundstücksein- und -ausfahrten. 899 von ihnen starben, 26.694 wurden schwer und 160.974 leicht verletzt1 .
Eine der 14 Top-Maßnahmen des DVR zur Verbesserung der Verkehrssicherheit lautet daher „Verkehrssicherheit an Kreuzungen und Einmündungen erhöhen“. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass sich unter dieser zusammenfassenden Überschrift eine Vielzahl unterschiedlicher Teilaspekte subsumiert: Das Unfallgeschehen an Kreuzungen ist anders als an Einmündungen, außerorts anders als innerorts, mit einer Ampel anders als ohne usw. Zudem ereignet sich ein vergleichbares Unfallgeschehen auch an Grundstücksein- und -ausfahrten oder an Parkplatzzufahrten (im Weiteren insgesamt als Zufahrten bezeichnet). Dementsprechend sind auch die jeweiligen Maßnahmen sehr vielfältig und würden den Rahmen einer einzelnen Vorlage sprengen. Aus Gründen des differenzierten Unfallgeschehens und vor dem Hintergrund, dass innerorts mehr als 3,5 mal so viele Personen an Kreuzungen, Einmündungen und Zufahrten verunglücken als außerorts, fokussiert diese Vorlage auf den innerörtlichen Bereich.
Bei allen Kreuzungen, Einmündungen und Zufahrten sind die Belange aller Verkehrsteilnehmer und Verkehrsteilnehmerinnen zu berücksichtigen, insbesondere die spezifischen Anforderungen von Senioren, mobilitätseingeschränkten Personen und Kindern – auch auf dem Schulweg.
Unfallgeschehen an innerörtlichen Knotenpunkten
Die Knotenpunkte, gemeint sind hier Kreuzungen, Einmündungen und Zufahrten, stellen innerorts besondere Gefahrenstellen dar. 45% der innerorts getöteten Personen, 52% der Schwerverletzten und 58% der Leichtverletzten wurden hier im Jahr 2015 registriert2 . Bei Auswertung der Unfälle mit Personenschaden innerorts fällt auf, dass jeder dritte Unfall und sogar 42% der Getöteten an Knotenpunkten mit Ampeln registriert wurden3 . Das Unfallgeschehen an Kreuzungen wird dominiert von Unfällen zwischen Wartepflichtigen und bevorrechtigt Querenden (mit einem Kraftfahrzeug, Fahrrad oder zu Fuß), Unfällen beim Linksabbiegen mit dem Gegenverkehr und zu Fuß Gehenden sowie Unfällen beim Rechtsabbiegen mit Fuß- und Radverkehr. An Einmündungen und Zufahrten ist das Unfallgeschehen grundsätzlich ähnlich, es fallen aber zudem Unfälle zwischen Wartepflichtigen und dem Radverkehr auf, der von rechts kommt (z.B. wenn Radwege in beiden Richtungen genutzt werden)4 .
Infrastrukturelle Defizite
Viele der bestehenden Knotenpunkte weisen Defizite und Abweichungen von den aktuellen technischen Regelwerken auf, die unfallbegünstigend wirken können5 . Dazu gehören vor allem die fehlenden Sichtbeziehungen (insbesondere an Zufahrten, aber auch an Einmündungen und Kreuzungen ohne Ampeln), erforderliche, aber fehlende bzw. unzureichende Radverkehrsanlagen, unzureichende Markierungen (z.B. fehlende Orientierungshilfen für Abbiegende im Kreuzungsbereich) und unzureichende Signalisierungen (z.B. kein Vorlauf für Fußverkehr, fehlende gesonderte Phasen für Abbiegende trotz hoher Verkehrsbelastung) und fehlende barrierefreie Ausstattung6 . Diese Defizite können dazu führen, dass der Knotenpunkt nicht erkannt, nicht begriffen und deshalb falsch eingeschätzt bzw. falsch genutzt wird.
Verkehrsverhalten
Auch wenn sich der Großteil generell an die Regeln hält, so gibt es eine Vielzahl unbewusster Fehler, aber auch bewusster Regelverstöße, die zu kritischen Situationen und Unfällen führen können. Dazu gehört der Rotlichtverstoß durch alle am Verkehr teilnehmenden Personen, das Fahren mit dem Fahrrad auf der falschen Fahrbahnseite, das Unterschätzen von Geschwindigkeiten, das Überschätzen von Zeitlücken und die Fehleinschätzung von Gefahrensituationen.
Gestaltung von Knotenpunkten
Konflikte an Knotenpunkten lassen sich durch eine entsprechende Gestaltung reduzieren. Die technischen Regelwerke enthalten dazu grundlegende Hinweise und Vorgaben. Die Gestaltung von Knotenpunkten muss daher grundsätzlich nach den Vorgaben des aktuellen Entwurfsregelwerks insbesondere für innerstädtische Straßen7 , Ampeln8 , Radverkehrsanlagen9 , Fußgängerverkehrsanlagen10 sowie barrierefreie Verkehrsanlagen11 erfolgen. Dabei ist immer die Gesamtanlage unter Berücksichtigung der Belange aller zu betrachten. Insbesondere ist das Gefahrenpotenzial für Kinder, Senioren und mobilitätseingeschränkte Personen zu reduzieren. Bestehende Schulwege müssen bei der Gestaltung von Knotenpunkten berücksichtigt werden.
Beschluss
Aufgrund der hohen Bedeutung für die Verkehrssicherheit werden die Kommunen und Länder aufgefordert, der Verbesserung der Sicherheit an innerörtlichen Kreuzungen, Einmündungen und Zufahrten in besonderem Maße Rechnung zu tragen.
Dazu gehören insbesondere folgende Maßnahmen:
- Umsetzung von Maßnahmen, die die Unfallkommissionen zur Verbesserung der Sicherheit an unfallauffälligen Knotenpunkten vorschlagen.
- Entzerrung der Komplexität großer Knotenpunkte: z.B. durch eigene Ampelphasen für Abbiegende, Reduzierung von Fahrstreifen, Abbiegeverbote und Einsatz moderner Signal- und Steuerungstechnik.
- Besondere Beachtung der Führung des Radverkehrs in Knotenpunkten. Verdeutlichung der Radverkehrsführung, z.B. durch Markierungen und Piktogramme, sichere Führung des links abbiegenden Radverkehrs, vorgezogene Warte- und Haltlinien für Rad Fahrende, Vermeiden von Radverkehrsführungen auf linker Fahrbahnseite bzw. von Zweirichtungsradwegen.
- Einhaltung der Sichtbeziehungen auch an Einmündungen und Zufahrten ohne Ampeln. Insbesondere ist die Sicht von Wartepflichtigen auf den bevorrechtigten Verkehr (auch auf Fuß- und Radverkehr) zu gewährleisten. Im Rahmen der Planung von Straßenverkehrsanlagen ist sicherzustellen, dass bereits in der (Vor-) Entwurfsplanung Sichtdreiecke12 in Planunterlagen eingezeichnet werden. Im Bestand ist eine konsequente Überwachung und Ahndung der Missachtung (z.B. durch falsch parkende Fahrzeuge) erforderlich. Sichtdreiecke sind bei Erfordernis durch bauliche Maßnahmen freizuhalten. Dort, wo die Sichtdreiecke nicht eingehalten werden können, ist die zulässige Höchstgeschwindigkeit des bevorrechtigten Verkehrs an die vorhandenen Sichtweiten anzupassen.
- Schaffung sicherer Überquerungsstellen für Fuß- und Radverkehr nicht nur an signalisierten Hauptverkehrsknotenpunkten, sondern an allen Kreuzungen und Einmündungen. Bei Bedarf sind dazu ergänzende Maßnahmen wie Aufpflasterungen der Gehwegüberfahrten an Einmündungen, Vorziehung der Gehwege, Verlagerung des ruhenden Verkehrs, der Einbau von Fahrbahnteilern oder die Anordnung von Fußgängerüberwegen erforderlich. Alle Überquerungsstellen sind barrierefrei auszubilden. Dazu gehören insbesondere taktile Leitelemente, kontrastreiche Gestaltung, akustische und taktile Freigabesignale an Ampeln und Vermeidung von Höhenunterschieden.
- Überwachung und Ahndung von Rotlichtverstößen, bei Kraftfahrzeugen mit kombinierten Geschwindigkeits- und Rotlichtüberwachungsanlagen.
- Durchführung von Sicherheitsaudits in allen Entwurfsphasen für alle Straßen und anlassbezogene Durchführung von Bestandsaudits.
- Regelmäßige Durchführung der vorgeschriebenen Verkehrsschau.
gez.
Dr. Walter Eichendorf
Präsident
1 Verkehrsunfälle 2015, Statistisches Bundesamt, Fachserie 8, Reihe 7, 2016, Tabelle 2.9
2 Verkehrsunfälle 2015, Statistisches Bundesamt, Fachserie 8, Reihe 7, 2016, Tabelle 2.9
3 Auswertung der polizeilichen Unfalldaten mehrerer Bundesländer durch die Unfallforschung der Versicherer, Jahr 2014, 45.974 Unfälle mit Personenschaden an Kreuzungen, Einmündungen und Zufahrten innerorts
4 Auswertung Unfalldaten NRW 2012 durch die Unfallforschung der Versicherer
5 Sichere Knotenpunkte für schwächere Verkehrsteilnehmer, UDV, 2013
6 Sichere Knotenpunkte für schwächere Verkehrsteilnehmer, UDV, 2013
7 Richtlinie für die Anlage von Stadtstraßen RASt, FGSV, 2006
8 Richtlinie für Lichtsignalanlagen RiLSA, FGSV, 2015
9 Empfehlungen für Radverkehrsanlagen ERA, FGSV, 2010
10 Empfehlungen für Fußgängerverkehrsanlagen EFA, 2002
11 Hinweise für barrierefreie Verkehrsanlagen HBVA, FGSV, 2011
12 Richtlinie für die Anlage von Stadtstraßen RASt, FGSV, 2006, Tabelle 59