Beschluss

Mehr Sicherheit in Ortsdurchfahrten

Zur Verbesserung der Verkehrssicherheit fordert der DVR die verantwortlichen Baulastträger von Straßen, Geh- und Radwegen bzw. die zuständigen Straßenverkehrsbehörden auf, bei der Planung, bei baulichen Änderungen sowie dem Aus-, Um- und Neubau von Ortsdurchfahrten bestimmte Empfehlungen und Grundsätze einzuhalten.
17.10.2024
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Beschluss

Mehr Sicherheit in Ortsdurchfahrten

Zur Verbesserung der Verkehrssicherheit fordert der DVR die verantwortlichen Baulastträger von Straßen, Geh- und Radwegen bzw. die zuständigen Straßenverkehrsbehörden auf, bei der Planung, bei baulichen Änderungen sowie dem Aus-, Um- und Neubau von Ortsdurchfahrten bestimmte Empfehlungen und Grundsätze einzuhalten.

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    Beschluss: Mehr Sicherheit in Ortsdurchfahrten

    PDF 23.10.2024

Einführung


Im Jahr 2023 kam es in Deutschland zu 291.890 Straßenverkehrsunfällen mit Personenschaden, davon 70 % (203.260) innerorts. Das Risiko für Radfahrende und zu Fuß Gehende, zu Schaden zu kommen, ist hoch: 31 % aller bei Verkehrsunfällen getöteten Personen waren zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs. Senioren sind besonders gefährdet; 37 % der Getöteten waren 65 Jahre und älter1.
Unfälle mit zu Fuß Gehenden und Radfahrenden in Ortsdurchfahrten werden u. a. beeinflusst durch Fehlverhalten der Verkehrsteilnehmenden sowie durch die Verhältnisse der Straßen, Gehwege und Querungen. Zusätzlich sind mangelhafte Sichtverhältnisse, falsche Abbiegemanöver, nicht angepasste Geschwindigkeiten oder überschrittene Höchstgeschwindigkeit von Kraftfahrzeugen die Unfallursache.
Ortsdurchfahrten im Sinne dieser Beschlussvorlage sind Kreis-, Landes- und Bundesstraßen innerhalb einer Ortschaft (ausgewiesen durch Ortstafeln), die für den innerörtlichen, erschließenden und durchfahrenden Verkehr bestimmt sind. Diese Streckenabschnitte, die häufig in ländlich geprägten Bau- und Siedlungsstrukturen liegen, haben in der Regel eine Länge zwischen 500 bis 3.000 Meter. Die mittleren Verkehrsstärken liegen zwischen 100 und 1.000 Kraftfahrzeugen in der Spitzenstunde.
Auch Ortsdurchfahrten sind nach den üblichen technischen Regelwerken für Innerortsstraßen zu planen. Dazu gehören insbesondere die
 

  • Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen (RASt)
  • Empfehlungen für Fußgängerverkehrsanlagen (EFA)
  • Hinweise für barrierefreie Verkehrsanlagen (H BVA)
  • Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA)
  • Empfehlungen für Anlagen des ruhenden Verkehrs (EAR)
  • Richtlinien für integrierte Netzgestaltung (RIN)
  • Empfehlungen für Anlagen des öffentlichen Personennahverkehr (EAÖ).


Empfehlungen


Zur Verbesserung der Verkehrssicherheit werden die verantwortlichen Baulastträger von Straßen, Geh- und Radwegen bzw. die zuständigen Straßenverkehrsbehörden angehalten, bei der Planung, bei baulichen Änderungen sowie dem Aus-, Um- und Neubau von Ortsdurchfahrten die nachfolgenden Empfehlungen und Grundsätze einzuhalten:

  1. Im Vorfeld von baulichen Maßnahmen (keine betrieblichen Unterhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen) in bestehenden Ortsdurchfahrten ist generell ein Bestandsaudit durchzuführen. Dabei sind die Nutzungsansprüche aller Verkehrsarten zu beachten.

     

  2. Nur eine regelkonforme Festlegung des Standortes einer Ortstafel (Vorschriftzeichen 310, 311) entsprechend der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO) lässt die ortseinwärts Fahrenden erkennen, dass sie ihr Fahrverhalten anzupassen haben.

     

  3. Bei der Planung von Ortseinfahrten und damit dem Übergang der freien Strecke von Landstraßen in die Ortsdurchfahrt ist auf eine geschwindigkeitsreduzierende Gestaltung des Straßenquerschnittes zu achten. Dies kann z. B durch die Reduzierung von Fahrbahnbreiten oder das Anlegen von Mittelinseln mit Fahrbahnverschwenkungen erreicht werden.

     

  4. Grundsätzlich sind im Eingangsbereich und in der Ortsdurchfahrt ausreichende Sichtverhältnisse und eine geeignete Beleuchtung sicherzustellen.

     

  5. In Ortsdurchfahrten ist grundsätzlich die beidseitige Anordnung durchgehender Gehwege umzusetzen.

     

  6. Radwege der freien Strecke sind am Ortseingang in geeignete Radverkehrsführungen innerorts zu überführen. Bei Bedarf ist auch eine reduzierte zulässige Höchstgeschwindigkeit sowohl am Ortseingang als auch im Bereich der Ortsdurchfahrt zu prüfen und deren Einhaltung mit geeigneten geschwindigkeitsreduzierenden Maßnahmen zu unterstützen.

     

  7. Zwischen Parkständen und Radverkehrsanlagen sind Sicherheitstrennstreifen vorzusehen. Das Parken auf Gehwegen soll grundsätzlich nicht angeordnet werden.

     

  8. Der Bedarf und die Anordnung von sicheren, barrierefreien Querungen für zu Fuß Gehende und Radfahrende ist zu prüfen. Auf eine umwegfreie Führung sowie eine gute Erkennbarkeit von Wartefläche und Querungsstelle ist zu achten.

     

  9. Im Bereich der Haltestellen sollte das Überholen von Bussen beispielsweise durch bauliche Maßnahmen wie Mittelinseln unterbunden werden. Die Warteflächen bei Haltestellen sind mit einer ausreichenden Breite zu dimensionieren.

     

  10. Bei der Anordnung und Gestaltung von Knotenpunkten in Ortsdurchfahrten ist zur Vermeidung von Konflikten mit anderen Verkehrsteilnehmenden aus allen Knotenpunktzufahrten auf eine gute Übersicht und Erkennbarkeit, Begreifbarkeit und klare Vorfahrtsregelung zu achten.

     

  11. An Knotenpunkten ohne Lichtsignalanlage sind sichere Anlagen zur Querung für den Fußverkehr zu prüfen. Dazu gehören insbesondere Fußgängerüberwege, Mittelinseln, vorgezogene Seitenräume und Gehwegüberfahrten.

     

  12. An signalgeregelten Knotenpunkten sollten die Abbiegeverkehre in einer gesonderten Phase signalisiert werden. Auf freie Rechtsabbiegefahrstreifen ist zu verzichten.

     

  13. Bei der Planung und Gestaltung von Kreisverkehren in Ortsdurchfahrten ist auf die sichere Führung der zu Fuß Gehenden und Radfahrenden zu achten. Dabei sind i.d.R. über alle Zu- und Ausfahrten Fußgängerüberwege vorzusehen (siehe DVR-Beschluss „Fußgängerüberwege an innerörtlichen kleinen Kreisverkehren“ vom 30.10.2012).

     

  14. Der Einsatz von Geschwindigkeitsüberwachungen zur Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit in Ortsdurchfahrten wird insbesondere dort empfohlen, wo ein überhöhtes Geschwindigkeitsniveau festgestellt wird.


Erläuterungen


Zu 1. Bauliche Maßnahmen in bestehenden Ortsdurchfahrten
Beim Neu-, Aus- und Umbau von Ortsdurchfahrten ist in der Regel ein Sicherheitsaudit für alle Planungsphasen durchzuführen. Bei allen anderen umfangreicheren Baumaßnahmen im Bestand und bei größeren Erhaltungsmaßnahmen sollte durch ein
Sicherheitsaudit im Bestand festgestellt werden, welche Sicherheitsdefizite vorhanden sind und ob diese in diesem Zusammenhang beseitigt werden können. Erhaltungsmaßnahmen werden derzeit häufig bestandsorientiert ausgeführt, wodurch bestehende Potentiale zur Verbesserung der Verkehrssicherheit in der Straßeninfrastruktur nicht genutzt werden.


Zu 2. Gestaltung von Ortseinfahrten
Der Standort der Ortstafel ist in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO) als verbindliche Anweisung des Gesetz- und Verordnungsgebers an die Straßenverkehrsbehörden geregelt. Die Verkehrszeichen 310 und 311 StVO „Ortstafel“ sind ohne Rücksicht auf Gemeindegrenze und Straßenbaulast in der Regel dort anzuordnen, wo ungeachtet einzelner unbebauten Grundstücke die geschlossene Bebauung auf einer der beiden Seiten der Straße für die ortseinwärts Fahrenden erkennbar beginnt. Eine geschlossene Bebauung liegt vor, wenn die anliegenden Grundstücke von der Straße erschlossen werden.


Zu 3. Straßenquerschnitt beim Übergang der freien Strecke in die Ortsdurchfahrt
Der Übergang von der freien Strecke in den innerörtlichen Bereich sollte bei Tag und Nacht gut erkennbar sein. Die technischen Regelwerke (insbes. RASt) führen hierzu die oben genannten und noch weitere bauliche Maßnahmen auf, die die Erkennbarkeit verbessern und die Reduzierung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit unterstützen bzw. geschwindigkeitsdämpfend wirken.


Zu 4. Sichtverhältnisse und Beleuchtung
Aufgabe der Straßenbeleuchtung ist es, als Bestandteil der allgemeinen öffentlichen Sicherheit die Verkehrssicherheit aller Verkehrsteilnehmer bei Dunkelheit zu verbessern. Auch wenn es keine rechtsverbindlichen Vorgaben zur Beleuchtung von Straßen gibt, wird empfohlen, die gesamte Ortsdurchfahrt inklusive der Ortseingangsbereiche zu beleuchten. Dies dient der besseren Erkennbarkeit des Ortseingangs und hebt die Ortdurchfahrt insbesondere bei Dunkelheit gegenüber dem außerörtlichen Streckenverlauf hervor.


Zu 5. Anordnung von Gehwegen
An angebauten Straßen sind ausreichend dimensionierte Gehwege auf Grundlage der Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen (RASt), Ziffer 6.1.6 Anlagen für den Fußgängerverkehr, erforderlich. Das Regelwerk empfiehlt eine Seitenraumbreite von 2,50 Meter. Bei eingeschränkter Flächenverfügbarkeit an baulich oder Umfeld bedingten Zwangspunkten, beispielsweise bei EngstelIen in Ortsdurchfahrten, können Breiten unter 2,50 Meter das Begegnen von zu Fuß Gehenden nur unter Inanspruchnahme der Sicherheitsräume oder Einschränkung des Verkehrsraums ermöglichen.


Zu 6. Über- und Fortführen von Radwegen von der freien in die innerörtliche Streckenführung
Je nach örtlichen Randbedingungen wird der Radverkehr in Ortsdurchfahrten auf adäquaten Radverkehrsanlagen (Schutzstreifen, Radfahrstreifen einseitigen oder zweiseitigen Radwegen) oder im Mischverkehr geführt. In jedem Fall ist zu prüfen, wie die Führung innerorts mit der Radverkehrsführung außerorts verbunden werden kann. Dazu sind am Ortseingang entsprechende Verknüpfungen zu schaffen. Bei Bedarf sind diese mit gesicherten Fahrbahnquerungen auszustatten. Die technischen Regelwerke (insbes. RASt und ERA) enthalten dazu einige Standards.


Zu 7. Innerörtliches Parken
Parken in Ortsdurchfahrten sollte nur dort vorgesehen werden, wo nach Berücksichtigung der erforderlichen Flächen für den Fuß- und Radverkehr und den fließenden Kraftfahrzeugverkehr noch ausreichend Fläche für baulich angelegte oder markierte Abstellflächen vorhanden ist. Gehwege sollten in ihrer ganzen Breite ausschließlich dem Fußverkehr vorbehalten sein und nicht zum Parken freigegeben werden. Neben Parkständen sind zu allen Radverkehrsanlagen (Radwege, Radfahrstreifen, Schutzstreifen), die links oder rechts neben den Parkständen verlaufen, Sicherheitsrennstreifen mit einer Breite von mindestens 75 cm zu markieren oder baulich auszubilden (s. auch EAR und ad hoc-Papier „Ergänzende Handlungsanleitungen zur Anwendung der RASt 06“, FGSV 2024).


Zu 8. Anordnung von sicheren, barrierefreien Querungen
Das Queren von Straßen ist immer mit einem Risiko verbunden. Zur Sicherung des querenden Fußverkehrs sollten daher stets geeignete Querungsanlagen eingesetzt werden. In einer Studie der Unfallforschung der Versicherer (UDV) wurde die Sicherheit an unterschiedlichen Anlagetypen verglichen (Stand: 01. August 2022). Auf Basis der Ergebnisse der Studie wurden zur Sicherung des querenden Fußverkehrs Empfehlungen ausgesprochen. Sowohl in den Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen (RASt) als
auch in den Empfehlungen für Fußgängerverkehrsanlagen (EFA) werden allgemeine Empfehlungen für den Einsatz von Maßnahmen für den Fußgängerquerverkehr getroffen. Neben der Prüfung der Akzeptanz von Querungsanlagen sind die städtebaulichen Randbedingungen und die vorliegende Fahrzeugverkehrsstärke zu beachten. Im FE 02.0406/2016/FGB „Barrierefreie Gestaltung von Querungsanlagen an Ortsdurchfahrten von Bundesfernstraßen" wurden verschiedene Anlagentypen auf Basis der Nutzung von seh- und geheingeschränkten Personen bewertet. Weiterhin wurde ein neuer Anlagentyp entwickelt (Rampen-Lösung). Auf Grundlage der Studie werden Empfehlungen zu einer barrierefreien Gestaltung von Ortsdurchfahrten gegeben.


Zu 9. Haltestellen
Im Bereich von Haltestellen kommt es zu vermehrten und teilweise unbedachten Querungen zu Fuß Gehender. Um hier die Sicherheit zu gewährleisten, sind gesicherte Querungsstellen im Haltestellenbereich erforderlich. Dazu haben sich insbesondere Mittelinseln bewährt, die gleichzeitig so angelegt werden können, dass auch ein Vorbeifahren am haltenden Bus unterbunden und damit ein Höchstmaß an Sicherheit gewährleistet wird. Bushaltestellen in Ortsdurchfahrten werden oft auch im Rahmen des Schülerverkehrs genutzt. Je nach Fahrgastaufkommen sind daher ausreichend dimensionierte Warteflächen erforderlich.


Zu 10., 11. und 12. Planung und Gestaltung von nicht signalisierten und von signalgeregelten Knotenpunkten
Knotenpunkte sind insbesondere für den Radverkehr aber auch für alle anderen am Verkehr Teilnehmenden besonders problematisch. Je geringer die zu bewältigende Komplexität, desto einfacher und sicherer wird es für alle. Dazu sind eindeutige und gut erkennbare Führungsformen mit klarer Verkehrsregelung für alle Verkehrsbeteiligten erforderlich. Kreisverkehre und signalgeregelte Kreuzungen mit getrennten Phasen für Abbiegende reduzieren die Konfliktpunkte und bieten damit ein hohes Maß an Sicherheit.


Zu 13. Planung und Gestaltung Kreisverkehren
Bei regelkonformen Kreisverkehren wird bei der Führung der Radfahrenden auf umlaufenden Radwegen die gewünschte Sicherheit nicht ganz erreicht, sofern an den Furten Radfahrende bevorrechtigt sind. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V (GDV) empfiehlt eine Unterordnung der Radfahrenden durch Zeichen 205 StVO „Vorfahrt gewähren“. Aus Gründen der Begreifbarkeit sollte dies nach den Empfehlungen des GDV auch zu einem Verzicht auf Fußgängerüberwege (FGÜ) führen, was innerorts nur bei geringem Fußgängeraufkommen vertretbar ist. Die Mischung des Verkehrs hat sich als sicherste Führungsform für den Radverkehr auf der Kreisfahrbahn herausgestellt.


Zu 14. Einsatz stationärer Geschwindigkeitsüberwachung
Nach einer Studie vom August 2022 der Unfallforschung der Versicherer sind ortsfeste Geschwindigkeitsüberwachungsanlagen sehr wirksam, um Unfälle zu reduzieren.
Dabei sind ortsfeste Geschwindigkeitsüberwachungen an konkreten und räumlich begrenzten Unfallstellen besonders wirksam. Das zulässige Geschwindigkeitsniveau wird wirkungsvoll eingehalten. Die Sicherheit an Knotenpunkten kann verbessert werden.
Um eine räumlich möglichst große Ausdehnung einer Geschwindigkeitsreduzierung zu erreichen, sollten innerorts Standorte am Beginn der Ortsdurchfahrten gewählt werden. Anlagen sind grundsätzlich am Anfang der schutzwürdigen Bereiche aufzustellen. Die Wirkung kann zudem gesteigert werden, wenn die Gestaltung des Verkehrsraumes nach der Überwachungsanlage den Grund für die Geschwindigkeitsreduzierung erkennen lässt.


Gez.
Manfred Wirsch
Präsident


1 Quelle: Destatis, Verkehrsunfälle 2023, erschienen 05.07.2024, Tabellen UJ 3 (5) und UJ 9 C (9 und 10)