Fahrerassistenzsysteme
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Fahrerassistenzsysteme
Deutscher Verkehrssicherheitsrat e.V. – 2006
I.
Präambel
Mit der Zielsetzung, Komfort und vor allem Sicherheit des Autofahrens weiter zu erhöhen, betreiben die Automobilhersteller und deren Zulieferer erhebliche Anstrengungen in Forschung und Entwicklung von Fahrerassistenzsystemen. Gerade in den letzten Jahren hat sich deren Angebot stark erweitert und wird sich in Zukunft weiter vergrößern.
Akzeptanz und Nachfrage seitens der Bürger entspricht noch nicht diesem erweiterten Angebot; Ursache dafür sind die mangelnde Kenntnis der verschiedenen Systeme und insbesondere das fehlende Verständnis ihres jeweiligen Sicherheitspotentials.
Der DVR hat sich zum Ziel gesetzt, mit geeigneten Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit die Kenntnis über Funktionsweise und Nutzen von Fahrerassistenzsystemen zu verbessern und erwartet dadurch positive Impulse für die Verkehrssicherheit insgesamt.
Diese Empfehlung enthält Grundlageninformationen, die im Rahmen von Sicherheitskampagnen Verwendung finden können.
II.
Begriffsdefinition „Fahrerassistenzsysteme“
Fahrerassistenzsysteme sind Systeme, die geeignet sind, den Fahrer in seiner Fahraufgabe hinsichtlich Wahrnehmung, Fahrplanung und Bedienung zu unterstützen - sie wirken damit bei der Navigation, der Fahrzeugführung und der Fahrzeugstabilisierung. Sie können signifikant zur Unfallvermeidung und Unfallfolgenminderung beitragen. Dazu gehören zum Beispiel Systeme der Bereiche Fahrdynamik, Licht, Umfeldinformation und die intelligente Vernetzung mit Systemen der passiven Sicherheit.
III.
Grundsätzliche Forderungen
Der DVR begrüßt grundsätzlich alle Innovationen im Fahrzeug und der Infrastruktur, die zu einer Verbesserung der Verkehrssicherheit führen. Sie müssen jedoch
- einen plausiblen, praktischen Nutzen für die Verkehrsteilnehmer haben sowie
- verständlich in ihrer Funktion und einfach in der Anwendung sein,
- bezahlbar (angemessenes Preis-/Leistungsverhältnis) sein und hohe Effektivität besitzen
- so ausgelegt sein, dass sie den Fahrzeugführer weder belasten noch überfordern.
Die Systeme sollten bei nachweisbarem Nutzenpotential möglichst schnell in allen neuen Fahrzeugen eingesetzt werden.
- einen plausiblen, praktischen Nutzen für die Verkehrsteilnehmer haben sowie
- Bei der Einführung von Fahrerassistenzsystemen verbleibt die Verantwortlichkeit für die Führung des Fahrzeuges beim Fahrer.
- Der DVR empfiehlt im Fall von zeitkritischen Situationen auch nicht übersteuerbare, aktiv eingreifende Systeme.
- Wenn die betreffende Fahraufgabe durch den Fahrer selbst bewältigt werden kann, lehnt der DVR nicht übersteuerbare aktiv eingreifende Fahrerassistenzsysteme ab. Der DVR hält insbesondere an Artikel 8 und 13 der Wiener Konvention für den Straßenverkehr fest.
- Zur bestmöglichen Nutzung der Sicherheitsmerkmale von Fahrerassistenzsystemen sollen die Kraftfahrer verstärkt informiert und mit diesen Systemen vertraut gemacht werden. Hierbei muss verdeutlicht werden, dass die durch die Fahrphysik bestehenden Grenzen nicht verschoben werden und dass diese Systeme nur den Fahrer bei der Ausführung seiner Fahraufgaben unterstützen sollen.
- Wie für andere zentrale Einrichtungen eines Fahrzeugs muss auch für Fahrerassistenzsysteme sichergestellt sein, dass sie dauerhaft funktionstüchtig sind. Dies kann durch Eigendiagnose und regelmäßige Kontrollen im Rahmen von Hauptuntersuchungen geschehen.
IV.
Wichtige Systeme und ihr Beitrag zu mehr Verkehrssicherheit
In diesem Abschnitt werden Fahrerassistenzsysteme beschrieben, die bereits heute erhältlich sind oder in Kürze auf den Markt kommen.
Adaptives Kurvenlicht
Die Scheinwerfer lenken in Kurven mit, so dass die Ausleuchtung von Kurven deutlich verbessert wird. Hindernisse können so früher erkannt werden.
Abstandsregeltempomat
Dieses System erlaubt die Festlegung einer „Wunschgeschwindigkeit“ sowie eines „Wunschabstandes“ durch den Fahrer. Bei freier Fahrbahn wird sodann die Wunschgeschwindigkeit eingehalten, bis man sich einem langsameren Fahrzeug nähert, oder dieses auf die eigene Fahrspur wechselt. In dem Fall wird das Fahrzeug automatisch abgebremst, so dass der Wunschabstand eingehalten wird. Ist die Fahrstrecke wieder frei, wird das Fahrzeug auf die Wunschgeschwindigkeit beschleunigt. Das automatische Einhalten des Mindestabstandes kann – insbesondere bei unerwarteten Fahrspurwechseln anderer Verkehrsteilnehmer – Kollisionen verhindern helfen.
Aktivlenkung
Das Übersetzungsverhältnis der Lenkung wird veränderbar der Fahrgeschwindigkeit angepasst. Bei höheren Fahrgeschwindigkeiten ist der Lenkwinkel geringer, der mit demselben Einschlag des Lenkrades erreicht wird. Bei niedrigen Geschwindigkeiten wirkt die Lenkung direkter auf Lenkradeinschläge. So erreicht man einerseits Komfort beim Einparken, wo man mit relativ geringen Lenkradbewegungen auskommt, bei hohen Geschwindigkeiten auf der Autobahn hingegen ist der erzielte Lenkwinkel geringer, so dass Lenkfehler besser ausgeglichen werden können.
Automatische Notbremse (Collision-Mitigation-System)
Steht ein Aufprall auf ein Hindernis unmittelbar bevor, wird automatisch eine Notbremsung eingeleitet. Hierdurch kann der Unfall entweder ganz vermieden oder zumindest dessen Schwere gemindert werden.
Automatische Fahrlichtsteuerung
Bei Dunkelheit, Dämmerung, Niederschlägen und Tunnelfahrt wird das Fahrlicht automatisch eingeschaltet, womit Sicht und Sichtbarkeit wesentlich verbessert werden.
Bremsassistent
In Gefahrensituationen, in denen eine Notbremsung notwendig ist, um einen Aufprall zu vermeiden, wird das Bremspedal vom Fahrer oft zu zögerlich betätigt. Dieses System sorgt für eine maximale Bremskraftverstärkung und damit in der Regel für einen minimalen Bremsweg. Ein Blockieren der Räder wird dabei durch das ABS verhindert.
Elektronisches Stabilitätsprogramm
Durch gezieltes Abbremsen einzelner Räder wird das Fahrzeug in kritischen Fahrsituationen, z.B. auf Straßen mit Schnee und Eis oder bei plötzlich notwendigen Ausweichbewegungen stabilisiert. Die Schleudergefahr wird deutlich reduziert.
Systeme zur Wahl der Fahrgeschwindigkeit (Intelligent Speed Management)
Hierunter werden Systeme verstanden, die einen Vergleich zwischen der gefahrenen und der empfohlenen/vorgeschriebenen Geschwindigkeit des jeweiligen Streckenabschnitts vornehmen und mit unterschiedlichem Feedback (informierend, warnend, unterstützend, eingreifend) reagieren.
Nachtsicht
Mit Hilfe eines Nachtsichtassistenten (oft auch „Night Vision“ genannt) können bei Dämmerung und Dunkelheit Objekte, Personen und Tiere, die schlecht reflektieren oder sich in einem größeren Abstand vom Fahrzeug außerhalb der Reichweite des Scheinwerferlichts befinden, frühzeitig sichtbar gemacht werden. Für andere Verkehrsteilnehmer besteht keine Blendgefahr.
Pre-Crash-Systeme
Dabei wird der Fahrer in einer akuten Gefahrensituation, in der ein Aufprall bevorstehen könnte erst visuell oder akustisch gewarnt, bevor das System eine Teilbremsung durchführt. Steht der Aufprall unmittelbar bevor, wird die automatische Notbremsung aktiviert.
Parkassistent
Das System hilft ohne Parkschäden in eine enge Parklücke zu fahren. Durch die Umfelddetektion werden aber auch bestimmte Objekte vor und hinter dem Auto erkannt.
Spurverlassenswarnung
Droht das Fahrzeug unbeabsichtigt die Fahrspur zu verlassen, z.B. wegen Einschlafens, wird der Fahrer gewarnt. Die Warnung kann über verschiedene Kanäle erfolgen, wie z.B. visuell, akustisch oder haptisch. Eine leichte Gegenlenkung kann erfolgen.
Spurwechsel-Assistent
Dieses System warnt den Fahrer beim Einleiten des Überholvorgangs vor einer möglichen Kollision durch von hinten herannahende oder sich im toten Winkel befindende Fahrzeuge. Das System kann mit der Betätigung des Blinkers aktiviert werden und zeigt seine Warnsignale z. B. im seitlichen Rückspiegel an.
Xenon-Licht inkl. automatischer Leuchtweitenregulierung
Durch Xenonlicht wird eine verbesserte Ausleuchtung der Fahrbahn und des Straßenrandes erzielt. Die automatische Leuchtweitenregelung verhindert eine Blendung des Gegenverkehrs.
V.
Zahlen zum Nutzenpotential ausgewählter Systeme
Einige der aufgeführten Systeme sind schon länger im Einsatz, so dass es zu diesen bereits fundierte Zahlen über ihren Beitrag zu Unfallvermeidung und Unfallfolgenminderung gibt.
Abstandsregeltempomat
Eine Studie der Unfallforschung des Allianzzentrums für Technik hat auf Basis von Unfallrekonstruktionen ergeben, dass bei einer umfassenden Ausstattung des deutschen Lkw-Fuhrparks mit diesem System die Zahl der schweren Auffahrunfälle allein in Deutschland um 28 Prozent verringert werden könnte. Bezogen auf Lkw-Auffahrunfälle auf Autobahnen, für die das System in erster Linie ausgelegt ist, liegt das Unfallvermeidungspotential sogar bei mehr als 70 Prozent.
Elektronisches Stabilitätsprogramm
Zum Sicherheitsgewinn durch dieses System liegen mehrere Studien, unter anderem von DaimlerChrylser, Toyota und der Swedish National Road Administration, vor. Ausnahmslos bestätigen sie dessen erhebliches Unfallvermeidungspotential. Der DVR erwartet aufgrund dieser Studien ein Potenzial zum Rückgang der Schleuderunfälle von 30-40 %.
Beschluss zu Fahrerassistenzsystemen
Fahrerassistenzsysteme können einen wesentlichen Beitrag zu Unfallvermeidung und Unfallfolgenminderung leisten.
Mit verbesserter Aufklärung der Bürger über die Sicherheitsvorteile von Fahrerassistenzsystemen könnte deren Ausstattungsrate beim Fahrzeugkauf verbessert werden.
Mittelfristig ist damit eine wesentlich schnellere und breitere Abdeckung der Fahrzeuge mit neuen Fahrerassistenzsystemen möglich.
Die nun konzipierten Informationskampagnen müssen mit hoher Priorität umgesetzt und gefördert werden. Dabei dürfen die durch die Fahrphysik bestehenden Grenzen nicht verschoben werden. Die Systeme sollen nur den Fahrer bei der Ausführung seiner Fahraufgaben unterstützen sollen. Möglichkeiten für Unterstützung der Systemeinführung in den Markt sollten geschaffen werden (Systemanreize).
gez.
Prof. Manfred Bandmann
Präsident