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Reifen
Deutscher Verkehrssicherheitsrat e.V. – 2013
Erläuterung
Reifen stellen mit ihrer Aufstandsfläche grundsätzlich die physikalische Verbindung zwischen Fahrzeug und Fahrbahn her und haben die Aufgabe, die fahrzeugspezifischen, statischen und dynamischen Radlasten sowie die damit verbundenen auftretenden Beschleunigungs-, Brems- und Seitenführungskräfte vom Fahrzeug zur Fahrbahn zu übernehmen, so dass die vom Fahrer gewünschten Fahrzeugbewegungen möglichst sicher und vorhersehbar ausgeführt werden können. Diese sicherheitsrelevanten Aufgaben müssen bei allen auftretenden unterschiedlichen Witterungs- und Straßenbedingungen erfüllt werden.
Zusätzlich sollen Reifen komfortable Federungseigenschaften haben, langlebig sein, niedrige Fahrgeräusche verursachen sowie einen möglichst geringen Rollwiderstand aufweisen.
Diese vorgenannten vielfältigen Aufgabenstellungen sind zum Teil physikalisch konträr zueinander, so z.B. die Verringerung des Rollwiderstandes mit der Verkürzung des Bremsweges.
Im Zentrum der Verkehrssicherheit stehen jedoch die erstgenannten Kriterien. Für die Vermeidung oder Abmilderung von Unfällen ist die optimale Übertragung von Brems- und Lenkkräften von zentraler Bedeutung. Jegliche Entwicklungen von Komponenten für eine sichere Fahrdynamik, wie das Elektronische Stabilitätsprogramm (ESP), das Antiblockiersystem (ABS), die Notbremssysteme oder sonstige Fahrwerkselemente, haben als Grundlage, dass Reifen eine möglichst hohe Straßenhaftung aufweisen. Den Sicherheitskriterien der Reifen kommt deshalb eine besondere Bedeutung zu.
Diese Bedeutung wird auch vom europäischen Gesetzgeber betont. Die Reifen-Kennzeichnungs-Verordnung (Reifenlabel) beinhaltet daher neben den Kriterien des Rollwiderstandes und der Geräuschemission auch die Nasshaftung, die dem Kunden Auskunft über die Bremseigenschaften des Reifens auf nasser Straße gibt. Nach Beobachtung des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR) hat die Einführung des Reifenlabels dazu geführt, dass Reifenher-steller bei der Entwicklung neuer Reifen besonders auf das Sicherheitskriterium der Nassbremsung Wert gelegt haben, so dass heute eine Vielzahl neuer Reifen bessere Bremseigenschaften aufweisen als vor wenigen Jahren.
Mindestanforderungen an Pkw-Reifen
Während das Reifenlabel darauf abzielt, dem Verbraucher eine Bewertung der Reifen in bestimmten Klassen zu ermöglichen, werden die Mindestanforderungen an Reifen unter anderem in den Regelungen Nr. 30 und 117 der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa (UN/ECE) geregelt. Darin werden Vorschriften über Reifenabmessungen, Belastungs- und Geschwindigkeitsprüfungen sowie Verschleißanzeiger festgelegt.
Funktionelle Anforderungen an Reifen bezogen auf die Haftung auf nassen Oberflächen werden in der Verordnung Nr. 661/2009 über die „Typengenehmigung von Kraftfahrzeugen, Kraftfahrzeuganhängern und von Systembauteilen und selbständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge hinsichtlich ihrer allgemeinen Sicherheit“ des Europäischen Parlamentes (EP) geregelt. Diese Verordnung nimmt Bezug auf die UN/ECE-Regelung 117. Mit dieser Verordnung wurde erstmals ein bestimmter Nasshaftungsgrenzwert G für normale Straßen- bzw. Winterreifen für die Kategorie C1 (Reifen für Pkw) als Untergrenze festgelegt. Dieser Wert beträgt für normale Straßenreifen, d.h. Sommerreifen, G ≥1,1.
Der DVR hält diesen Grenzwert für zu niedrig.
Der Abbau der Geschwindigkeit durch den Bremsvorgang ist ein zentrales Element zur Verhinderung von Unfällen bzw. der Verringerung der Unfallschwere. Der Nasshaftungsgrenzwert von 1,1 entspricht der Klasse E der Reifen-Kennzeichnungs-Verordnung. Damit ergeben sich für die Kategorisierung der Pkw-Reifen bzgl. der Nasshaftung zwischen den Kategorien A und E, wenn aus 80 km/h auf nasser Fahrbahn gebremst wird, ein Bremswegunterschied von ca. 13 Metern. Dies bedeutet, dass ein Fahrzeug mit Reifen der Kategorie E noch mit ca. 40 km/h Restgeschwindigkeit unterwegs ist, während dann ein Fahrzeug mit Reifen der Kategorie A schon steht. Bei höheren Ausgangsgeschwindigkeiten wird die Restgeschwindigkeit entsprechend höher.
Zumindest für die Kategorie der Sommerreifen, d. h. der Reifen, die nicht mit dem Three Peak Mountain Symbol nach der ECE-Regelung 117.02 gekennzeichnet sind, sollten solche Grenzwerte für die Nasshaftung eingeführt werden, welche die Nasshaftungsklasse E entsprechend dem Label ausschließen. Dies bedeutet, dass die ECE-Regelung 117 sowie die Verordnung Nr. 661/2009 des EPund des Rates über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen geändert werden sollen und für normale Straßenreifen der Nasshaftungsgrenzwert mindestens bei G ≥ 1,25, dies entspricht der Nasshaftungsklasse C, festgelegt werden soll.
Der DVR hält eine solche Forderung für realisierbar, da ein Großteil der angebotenen C1-Sommerreifen, die mit einem Label versehen sind, heute schon den Nasshaftungsklassen A bis C entsprechen.
Mindestanforderungen an Nutzfahrzeug-Reifen
Bislang existieren noch keine Nasshaftungsgrenzwerte für die Zulassung von Reifen für leichte Nutzfahrzeuge, C2-Reifen, und schwere Nutzfahrzeuge, C3-Reifen (siehe hierzu Anmerkung 1).
Pkw, leichte und schwere Lkw sind im Straßenverkehr gleichzeitig unterwegs. Besonders in Gefahrensituationen ist es notwendig, dass ihre Bremsleistungen nicht zu sehr voneinander abweichen, um Auffahrunfälle, insbesondere von schweren Lkw auf Pkw, zu vermeiden. Die für die Länge der Bremswege bedeutsamen Nasshaftungsgrenzwerte sollten daher nicht zu weit auseinander liegen.
Für die Reifenklasse C2 sollte der Nasshaftungsgrenzwert G mindestens bei 1,1 festgelegt werden.
Für die Reifenklasse C3 sollte dieser Wert mindestens bei G ≥ 0,95 festgelegt werden.
Über 90 % der auf dem Markt befindlichen C2 und C3 Reifen erfüllen zurzeit diese Grenzwerte. Daher sind diese Mindestanforderungen ohne größeren Aufwand realisierbar.
Eine Ausnahme von dieser Regelung kann für Nutzfahrzeug-Reifen für besondere Einsätze (z. B. für den Tagebau oder für Kranfahrzeuge) gestattet werden.
Winterreifen
Winterreifen werden mit dem Three Peak Mountain Symbol gekennzeichnet und haben im Wesentlichen die Aufgabe, bei typisch winterlichen Straßenbedingungen mit Eis, Schnee, Schneematsch, Nässe oder überfrorener Nässe eine gute Kraftübertragung herzustellen. Aufgrund dieser geforderten Eigenschaften weisen typische Winterreifen in der Regel schlechtere Nasshaftungswerte auf als Sommerreifen.
Die Einhaltung der Kriterien für die Nasshaftungsgrenzwerte für C1-, C2- und C3-Reifen kann daher für diese Winterreifen nicht gelten.
Für die einzelnen Klassen der Winterreifen sollen folgende Grenzwerte erfüllt werden: C1: G ≥ 1,15; C2: G ≥ 1,0; C3: G ≥ 0,85.
Spezielle Winterreifen für skandinavische Länder sollten von dieser Regelung ausgenommen werden.
Marktüberwachung
Die europäische Reifen-Kennzeichnungs-Verordnung regelt insbesondere die Klasseneinteilung der Reifen in Hinblick auf den Rollwiderstand, die Geräuschemission sowie die Nasshaftung.
Die Informationen über die Qualitätsklassen dienen den Kunden für ihre individuelle Kaufentscheidung. Dabei muss sichergestellt sein, dass die Messwerte und die daraus abgeleiteten Klasseneinteilungen ordnungsgemäß entsprechend den technischen Vorgaben erfolgen und diese Werte den Messungen entsprechen. Leider haben Reifentests in jüngster Zeit ergeben, dass nicht alle Angaben auf den Labeln wahrheitsgemäß sind.
Zum Schutz der Verbraucher und zur richtigen Einschätzung, besonders der Sicherheitsmerkmale von Reifen, soll eine effektive Marktüberwachung durchgeführt werden.
Beschluss
Angesichts der herausragenden Bedeutung, die Reifen für das Bremsvermögen und die Seitenführung und damit den sicheren Betrieb und die Unfallvermeidung von Kraftfahrzeugen haben, empfiehlt der DVR:
- Die Verordnung Nr. 661/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen sowie die Regelung Nr. 117.02 der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa (UN/ECE) sollen so geändert werden, dass für normale PKW C1-Straßenreifen (Sommerreifen) der Nasshaftungsgrenzwert G bei ≥ 1,25 festgelegt wird.
- Alle C2-Reifen (leichte Nutzfahrzeuge) sollen mindestens den Nasshaftungsgrenzwert G ≥ 1,1 erfüllen.
- Alle C3-Reifen (schwere Nutzfahrzeuge und Busse), sollen mindestens den Nasshaftungsgrenzwert G ≥ 0,95 erfüllen.
- Alle C1-Winterreifen sollen mindestens den Nasshaftungsgrenzwert G von 1,15 erfüllen. Dementsprechend ist der Nasshaftungsgrenzwert für C2-Winterreifen auf 1,0 und der für C3-Winterreifen auf 0,85 festzusetzen.
- Pkw-Spezialreifen, sogenannte skandinavische Winterreifen (z.B. Spikes-Reifen), sollen von dieser Regelung ausgenommen werden.
- Eine Ausnahme von diesen Regelungen für C2- und C3-Reifen kann für Nutzfahrzeug-Reifen für besondere Einsätze gelten.
- Der Vorschlag „ECE/TRANS/WP.29/GRRF/2013/9, Proposal for Amendments to Regulation N0. 117“, vom 7. Dezember 2012, soll gemäß den vorgenannten, vom DVR empfohlenen Nasshaftungsgrenzwerten G für C1-, C2- und C3-Reifen geändert werden.
- Der DVR begrüßt die europäische Reifen-Kennzeichnungs-Verordnung. In die Marktüberwachungskonzepte der Bundesländer ist die schwerpunktmäßige Überwachung der Einhaltung der Kennzeichnungsverordnung aufzunehmen.
- Die o. g. sicherheitsrelevanten Grenzwerte sind regelmäßig in Hinblick auf den technischen Fortschritt zu überprüfen und anzupassen. Hierzu sollen baldmöglichst Studien zur Einstufung von Reifen hinsichtlich der Nasshaftung durchgeführt werden.
gez.
Dr. Walter Eichendorf
Präsident
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Anmerkung 1:
In der Working Party on Brakes and Running Gear (GRRF) (siehe ECE /TRANS/WP.29/GRRF/201) wurde für C2 Reifen (Traction Tyres) der Grenzwert 0,85 und für C3 Reifen 0,65 vorgeschlagen.
Betrachtet man alle 3 Reifenklassen C1, C2 und C3 im Rahmen der Berechnungsvorgaben für den Nasshaftungswert des Testreifens G(T) gemäß ECE R 117.02, Addendum 116: Revision 2 – Amendment 1, gesetzlich in Kraft seit 18. November 2012, in Hinblick auf dessen Bezug zum dazu notwendigen Bremskraftkoeffizienten BFC zwischen Reifen und Straße beim Bremsvorgang auf nasser Straße, so kommt man zu folgenden Werten:
Mit C1 Reifen, bei einem als Minimum angesetzten Nasshaftungswert G(T)=1,25 des Testreifens ergibt sich, unter rechnerischer Verwendung des Bremskraftkoeffizienten BFC(R0)=0,68 des Referenzreifens nach ECE R 117, ein Bremskraftkoeffizient BFC(T) von etwa 0,76 des Testreifens. Das wäre der notwendige Kraftschlussbeibwert (Haftwert) zwischen Reifen und Straße bei den geforderten Minimalbedingungen für C1 Reifen.
Mit C2 Reifen und einem als Minimum angesetzten Nasshaftungswert G(T)=1,1 folgt, mit gleichen Bedingungen von BFC(R0)=0,68 für den Referenzreifen nach ECE R 117, ein Bremskraftkoeffizient BFC(T) von etwa 0,60 des Testreifens. Das wäre der notwendige Kraftschlussbeiwert zwischen Reifen und Straße bei den geforderten Minimalbedingungen für C2 Reifen.
Mit C3 Reifen und einem als Minimum angesetzten Nasshaftungswert G(T)=0,95 folgt, mit gleichen Bedingungen von BFC(R0)=0,68 für den Referenzreifen nach ECE R 117, ein Bremskraftkoeffizient BFC(T) von etwa 0,52 des Testreifens.
Dieser notwendige Kraftschlussbeiwert zwischen Reifen und Straße bei den geforderten Minimalbedingungen für C3 Reifen würde dann gerade in etwa dem minimalen Kraftschlussbeiwert von BFC(T)=0,5 entsprechen, der notwendig ist um auf deutschen und europäischen Straßen ein Kraftfahrzeug auf trockener Fahrbahn hinsichtlich der gesetzlich geforderten Mindestbremsleistung homologieren zu können.