Mehr digitale Elemente in der theoretischen Fahrausbildung
- Junges Fahren
Einführung
Fahrschulen haben in Deutschland zur sicheren Mobilitätsteilnahme einen Bildungsauftrag und leisten damit einen wichtigen Beitrag zur Steigerung der Verkehrssicherheit. Ein barrierefreier Zugang zum Fahrschulunterricht ist dabei sicherzustellen. Dazu zählt auch eine zumutbare Erreichbarkeit der Fahrschulräume gerade in ländlichen Regionen.
Eine angemessene Integration digitaler Angebote innerhalb der theoretischen Fahrschulausbildung kann dazu beitragen, die vielfältigen Anforderungen an die Fahranfängervorbereitung auf die Bedürfnisse der Fahrschülerinnen und Fahrschüler flexibler anpassen zu können.
Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) unterstützt mit seinen Mitgliedern die Entwicklungen des digitalen Fahrschulunterrichts und hat deshalb bereits im Oktober 2021 einen Beschluss zur „zielgerichteten Kombination von Präsenz-Theorieunterricht und E-Learning in der (theoretischen) Fahrausbildung“1 gefasst. Dabei wurden „Blended-Learning Konzepte“ für den Kompetenzerwerb als hilfreich und unterstützenswert klassifiziert.
Es gilt nun Leitlinien für die zukünftige theoretische Fahrausbildung zu formulieren, die einen zum Präsenzunterricht vergleichbaren Einsatz von digitalen Angeboten in der theoretischen Fahrausbildung ohne Qualitätsverlust zulassen.
Das bietet für die theoretische Fahrausbildung die Chance, mit Unterstützung von weiterentwickelten und zusätzlichen digitalen Angeboten und Elementen alle Potenziale zur Erschließung von neuen Lehr-Lernzielen sowie für eine optimierte Organisation von Lehr-Lernprozessen ausschöpfen und nutzen zu können.
Empfehlungen
- Um einen barrierefreien Zugang sicherzustellen, müssen Fahrschulen den theoretischen Fahrschulunterricht nach Fahrschüler-Ausbildungsordnung zwingend als Präsenzunterricht anbieten und durchführen.
- Für den theoretischen Fahrschulunterricht sind auf wissenschaftlicher Basis „Blended-Learning-Konzepte“ zu entwickeln und in das System der Fahrausbildung einzubringen.
- In diesem Zusammenhang ist zeitnah wissenschaftlich zu prüfen, welche Inhalte der Fahrschüler-Ausbildungsordnung zwingend im Präsenzunterricht vermittelt werden müssen und welche Inhalte durch digitale (synchrone oder asynchrone) Angebote oder Elemente vermittelt werden können. Für einen Pilotversuch sind die rechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen.
- Für die Integration digitaler Angebote oder Elemente in die theoretische Fahrausbildung sind notwendige Rahmenbedingungen zu definieren und bundeseinheitlich umzusetzen.
- Für Fahrlehrerinnen und Fahrlehrer, die digitale Angebote im theoretischen Unterricht einsetzen wollen, ist sicher zu stellen, dass sie im Rahmen von Aus- und Fortbildung entsprechend geschult wurden.
Erläuterungen
In den vergangenen beiden Jahrzehnten wurden im Bereich der Fahranfängervorbereitung viele inhaltliche und methodische Weiterentwicklungen – auch im Sinne der Digitalisierung – umgesetzt und damit etablierte Ausbildungs- und Prüfungsprozesse modernisiert. Dieser eingeschlagene Weg hat zu einer deutlichen Verbesserung der Verkehrssicherheit in Deutschland beigetragen: Analysen von Unfalldaten der letzten zehn Jahre2 zeigen, dass das Unfallrisiko vor allem bei jungen Fahranfängern signifikant zurückgegangen ist, und zwar so stark wie in keiner anderen Gruppe motorisierter Verkehrsteilnehmer.
Während der SARS-CoV-2-Pandemie Akutphase wurde der theoretische Unterricht in der Fahrausbildung mit unterschiedlichen Erfahrungen auf Basis von Ausnahmeverordnungen auch außerhalb der Fahrschulräume digital durchgeführt. Dabei konnten, wie auch in anderen Bildungsbereichen, vielfältige Erfahrungen gesammelt werden. Nicht zuletzt hat sich die gegenwärtige Bundesregierung im Dezember 2021 im Koalitionsvertrag dafür ausgesprochen, mehr digitale Elemente in der theoretischen Fahrausbildung zu ermöglichen.
Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) unterstützt mit seinen Mitgliedern diese Entwicklung und hat bereits im Oktober 2021 einen entsprechenden Beschluss gefasst. Dabei empfiehlt der DVR dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur u.a. in der Fahrschüler-Ausbildungsordnung festzuschreiben, welche Inhalte zwingend im Rahmen eines Präsenzunterrichts in der Fahrschule behandelt werden müssen und welche Inhalte im E-Learning Verfahren angeeignet werden können.3
Unter der Maßgabe, dass allen gesellschaftlichen Gruppen der Zugang zum Erwerb der Fahrerlaubnis ermöglicht werden muss, gilt es unter Sicherstellung einer Barrierefreiheit, dass flächendeckend von den Fahrschulen Präsenzunterricht in der theoretischen Fahrausbildung angeboten und durchgeführt werden muss. Die Erweiterung der theoretischen Fahrausbildung um digitale Angebote oder Elemente bietet zusätzliche Potenziale zur Erschließung von neuen Lehr-Lernzielen sowie eine optimierte Organisation von Lehr-Lernprozessen und trägt zur binnendifferenzierten Vorgehensweise in der theoretischen Fahrausbildung bei. Dabei haben sich bereits vor der SARS-CoV-2-Pandemie in anderen Bildungsbereichen aus wissenschaftlicher Sicht didaktisch fundierte „Blended-Learning-Konzepte“ als geeignet erwiesen, da sie die spezifischen Vorteile von Präsenzunterricht mit den spezifischen Vorteilen von digitalen Angeboten zum Wissens- und Kompetenzerwerb verbinden.4
Aus momentaner Sicht können „Blended-Learning-Konzepte“ neben Präsenzunterricht folgende Elemente enthalten, die eine binnendifferenzierte und zielführende Vorgehensweise ermöglichen:
- Digital synchroner Unterricht (Distanzunterricht)
- Digital asynchroner Unterricht (z. B. computergestützte Lernprogramme wie CBT, WBT etc. oder Virtuell-Reality-Lernumgebungen)
- Asynchroner Präsenzunterricht (z. B. Fahrsimulation mit tutorieller Begleitung)
- Asynchrone Arbeitsaufgaben (z. B. Durchführung von Face-Face-Interviews)
Dabei ist wissenschaftlich zu prüfen, welche Inhalte der Fahrschüler-Ausbildungsordnung zwingend eine Vermittlung im Präsenzunterricht erfordern und welche Inhalte auch mit digitalen Angeboten oder Elementen behandelt werden können.
Auf Basis dieser Erkenntnisse sind wissenschaftlich im Rahmen eines pädagogischen, didaktischen Gesamtkonzepts „Blended-Learning-Konzepte“ für die theoretische Fahrausbildung zu entwickeln, die Präsenzunterricht und digitale Angebote, wie oben beschrieben, miteinander verknüpfen. Dabei bietet der DVR aufgrund seiner Erfahrungen die unterstützende Begleitung an.
„Blended-Learning-Konzepte“ sind zu entwickeln und in das System der Fahrausbildung zu integrieren und so den Fahrschulen zur Verfügung zu stellen. Dabei ist eine dem Präsenzunterricht vergleichbare Unterrichtsgestaltung zu gewährleisten, entsprechende Rahmenbedingungen sind für die Durchführung festzulegen (z. B. Gruppengröße, Kamerapositionierung, Verbindlichkeiten, Verhaltenscodex etc.). Die von Seiten der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) durchgeführten Projekte „Ansätze zur Optimierung der Fahrschulausbildung (OFSA-I)“ und „Ausbildungs- und Evaluationskonzept zur Optimierung der Fahrausbildung in Deutschland (OFSA-II)“ liefern bereits wichtige Erkenntnisse, die für eine Weiterentwicklung hilfreich sind.
Der Einsatz von „Blended-Learning-Konzepten“ in der theoretischen Fahrausbildung bedarf für Lehrende neuer Vermittlungskompetenzen. Fahrlehrerinnen und Fahrlehrer sind im Rahmen der Fahrlehrerausbildung und -fortbildung dafür zu schulen.
Gez.
Manfred Wirsch
Präsident
2 Zeitreihenanalysen der TÜV | DEKRA arge tp 21, basierend auf Unfalldaten des Statistischen Bundesamtes Destatis (2022) und Fahrleistungsdaten des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (2019).
3 Siehe DVR-Beschluss vom 25.10.2021 „Fahrausbildung: Zielgerichtete Kombination von Präsenz-Theorieunterricht und E-Learning
4 Vgl. Will Thalheimer (2017), „Does eLearning Work? What the Scientific Research Says!“